Robert Claus: "Geschockt von Tönnies' Aussagen"
6. August 2019DW: Herr Claus, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von den Aussagen von Schalke Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies erfahren haben?
Robert Claus: Ich war geschockt in Anbetracht dieser rassistischen und kolonialistischen Aussagen. Zudem erschrak mich, dass es von einem Verantwortungsträger bei Schalke 04 kam. Die dortige Fanszene ist sehr migrationsgeprägt, die "Schalker Faninitiative gegen Rassismus" gehört zu den ältesten in Deutschland.
Die Öffentlichkeit debattiert seit Tagen über Tönnies und seine Aussagen, auch der Ehrenrat von Schalke 04 wird zu der Causa tagen. Das Thema hat mittlerweile sogar die Bundespolitik erreicht. Welche Konsequenzen müssen aus Ihrer Sicht nun folgen?
Zum einen werden derartige Aussagen dem Amt von Herrn Tönnies nicht gerecht, er sollte die Konsequenzen daraus ziehen. Zum anderen zeigt die Tatsache, dass das Publikum ihm teilweise applaudiert hat und niemand einschritt, wie etabliert rassistische Aussagen auch in bürgerlichen Kreisen sind. Vom nächsten Tag des Handwerks - wo das geschah - sollte ein deutliches Statement der Unternehmer gegen Rassismus ausgehen.
Hätte aus Ihrer Sicht eine schnelle und vor allem aufrichtige Entschuldigung Tönnies' bei denen, die er beleidigt hat und nicht bei den Fans von Schalke 04, die Situation entschärfen können oder ist das Gesagte dafür zu schwerwiegend?
Es ist keine Neuigkeit, dass die Themen Migration und Rassismus seit mehreren Jahren heiß diskutiert werden in Deutschland. In solch einer Debatte sind die fünf Sätze der Entschuldigung viel zu schmallippig. Es reicht nicht aus, sich oberflächlich auf ein Leitbild zurück zu ziehen. Ein "Einfach weiter so" kann es nicht geben.
Wenn Tönnies nicht von seinem Amt zurücktritt, wäre das aus Ihrer Sicht ein fatales Zeichen für die Glaubwürdigkeit des Kampfes gegen Rassismus im Fußball allgemein oder nur für Schalke 04?
Natürlich würden fehlende Konsequenzen die Glaubwürdigkeit der Kampagnen gegen Rassismus im Fußball deutlich beschädigen. Entweder Tönnies tritt zurück oder er legt alsbald einen ernsthaften Plan vor, wie er die Arbeit gegen Rassismus in seinem Unternehmen sowie bei Schalke 04 stärken will - z.B. durch Bildungsangebote auch für hochrangiges Leitungspersonal. Es wird jedoch schwer für ihn, hier noch die Kurve zu kriegen.
Gibt es Aspekte, die aus Ihrer Sicht in der ganzen Diskussion nicht oder nur unzureichend thematisiert werden?
Rassismus im Fußball wird oft nur diskutiert, wenn er von rechten Hooligans kommt, es also um die Fanszenen geht. Dabei gibt es eine lange Reihe an Initiativen gegen Rassismus von Fans, hinzukommen die sozialpädagogischen Fanprojekte. Es gibt aber kaum einen Profiklub in Deutschland, der Vielfalt und Antidiskriminierung fest in seiner Personalpolitik verankert hat und z.B. durch Mitarbeiterschulungen konsequent umsetzt. Stattdessen werden oft nur Imagefilme produziert, die wie Kartenhäuser zusammenfallen, wenn sich Führungspersonal derart öffentlich äußert. Vielmehr müssen sie inhaltlich hinterlegt werden. Dafür braucht es auch interne Schulungen bis in die höchsten Leitungsebenen, um die handelnden Personen zu sensibilisieren.
Empfinden Sie das bisherige Echo und die Reaktionen von DFB und Vereinsvertretern als angemessen oder wünschten Sie sich eine deutlichere Reaktion aus der Fußballbranche?
Es haben sich leider nur sehr wenige bekannte Personen kritisch zu Wort gemeldet, u.a. Hans Sarpei, Gerald Asamoah, Cacau - also drei Schwarze Ex-Fußballer - und Reinhard Rauball. Leider auch kein aktueller Nationalspieler. Dabei sind vor allem Menschen gefragt, die nicht von Rassismus betroffen sind, ihre Solidarität zu zeigen. Aber entweder herrscht hierfür mangelndes Bewusstsein oder die Angst, die eigene Karriere zu ramponieren. Beides wäre fatal.
Robert Claus, geboren 1983 in Rostock, Magister der Europäischen Ethnologie und Gender Studies, studierte in Berlin, Istanbul und Buenos Aires. Er forscht, hält Vorträge und publiziert zu den Themen Fankulturen, Hooligans, Rechtsextremismus, Männlichkeiten, Soziale Bewegungen und Gewalt. Seit 2013 arbeitet Claus bei der "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" (KoFaS gGmbH).
Das Interview führte David Vorholt