"Islamisten wollen Kopten auslöschen"
9. April 2017DW: In Ägypten haben sich heute zwei Anschläge auf koptische Christen ereignet. In den Städten Tanta und Alexandria starben bei Bombenattentaten mehr als 30 Gläubige. Wie ordnen sie diese Angriffe ein?
Markus Rode: Diese Angriffe passen in eine Reihe von Angriffen. Bereits am 11. Dezember - das ist der Geburtstag des Propheten Mohammed - gab es ein Sprengstoffattentat auf die koptische Kirche Peter und Paul im Zentrum von Kairo. Bis heute sind dort 29 Menschen umgekommen.
Wie erklären Sie diese Eskalation?
Die Gewaltspirale hat sich aus meiner Sicht erst ergeben, als Präsident Mursi abgesetzt wurde. Am 14. August 2013 war der vorläufige Höhepunkt der Gewalt gegen Christen: Zig Kirchen wurden zerstört und Christen ermordet. Dieses Momentum von damals wird darauf zurückgeführt, dass der Papst der Kopten damals mit dem Machthaber Abdel Fattah al-Sisi, der den Umsturz umgesetzt hat, zusammen gesehen wurde. Es hieß, die Christen seien schuld, dass die Muslimbrüder verjagt wurden.
Warum kommt es immer wieder gerade in Ägypten zu Gewalt?
Ägypten hat eine ganz besondere Stellung im Nahen Osten. Das Land hat mit zehn Prozent den höchsten Anteil Christen an der Gesamtbevölkerung. Außerdem ist Ägypten - rund um die Al-Azhar-Moschee und die Al-Azhar-Universität - das intellektuelle Zentrum des Islam. Das muss man berücksichtigen. Es findet eine Konfrontation statt. Die Islamisten haben das Ziel, dass der sunnitische Islam in Ägypten wieder eine starke Rolle spielt.
Über Ihre Organisation "Open Doors" sind Sie mit Betroffenen vor Ort in Kontakt. Wie sehen diese die Situation?
Wir sind seit Jahren dort aktiv. Was unsere Kontakte - meist Christen vor Ort - uns berichten ist, dass es ihnen wichtig ist zu deeskalieren. Gerade nach dem erwähnten Anschlag am 11. Dezember 2016 haben sie deeskalierend reagiert: Die Christen haben für diejenigen gebetet, die das Attentat begangen haben. Sie haben wörtlich gesagt: "Heute Nacht haben wir in unserer Kirche für die gebetet, die die Bombe in der Kirche versteckt haben. Wir Christen in Ägypten beten für unsere Verfolger, damit sie Jesus kennen lernen." Das Erstaunliche finde ich, dass die Christen in Ägypten nicht so sehr darauf aus sind, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Als 2013 so viele Kirchen niedergebrannt wurden, gab es an den Häusern sogar Transparente, auf denen stand: "Wir vergeben euch".
Natürlich herrscht auch eine extreme Angst, gerade jetzt. In den letzten Monaten wurden Christen willkürlich erstochen. Die Polizei ging zwar zunächst von Raubmord aus, aber stellte dann doch fest, dass nichts gestohlen wurde. Man spürt deutlich: Das alles geht auf die Drohungen des IS und anderer islamistischer Gruppen zurück, die angekündigt haben, die Kopten zu jagen und auszulöschen.
Tut die Regierung von Präsident al-Sisi genug, um die christliche Bevölkerung zu schützen?
Ein wirklicher Schutz ist derzeit kaum möglich. Die Attentäter spazieren in irgendeines der Häuser rein und erschießen einen koptischen Christen. Dabei hatten sie in der Vergangenheit teilweise so eine Ruhe, dass sie sich noch in den Laden eines der Christen setzten, um Chips zu essen und etwas zu trinken. Sie sind nicht zu identifizieren, sie sind versteckt unter der Bevölkerung. Sie tauchen auf, verüben Attentate und verschwinden wieder. Oder sie sprengen sich selbst in die Luft. Das macht natürlich den Schutz besonders schwierig. An den Kirchen direkt muss die Sicherheit deutlich erhöht werden.
Erwarten Sie für das anstehende Osterfest neue Gewalt?
Es gibt ein Video des IS, das zeigt, dass es eine klare Agenda gibt, Christen besonders dort zu treffen, wo sie verwundbar sind - nämlich bei ihren traditionellen Festen. Das ist auch am heutigen Palmsonntag wieder deutlich geworden. Die klare Strategie ist, Angst und Schrecken dort hervorzurufen, wo Christen sich zu ihren Feiertagen versammeln. Die "Botschaft" des IS lautet: Wenn ihr euch trefft, um euren Glauben zu zelebrieren, dann müsst ihr daran denken, dass wir unter euch sind und euch umbringen. Der IS will christliche Feste aus der Öffentlichkeit entfernen und versucht das über diese Eskalation.
Markus Rode ist Vorsitzender der deutschen Abteilung von "Open Doors". Das überkonfessionelle Hilfsnetzwerk setzt sich weltweit für verfolgte Christen ein und ist Herausgeber des jährlichen "Weltverfolgungsindex".
Das Interview führte Friedel Taube.