Camille Claudel bekommt ein eigenes Museum
26. März 2017Nogent-sur-Seine ist eine Kleinstadt rund 100 Kilometer von Paris entfernt. Das Datum der Eröffnung dieses ersten Camille-Claudel-Museums an diesem Sonntag war nicht zufällig gewählt: Es fällt zusammen mit dem Gedenken an den französischen Bildhauer Auguste Rodin, der vor hundert Jahren gestorben ist. In Paris und in ganz Frankreich, aber auch international, erinnern mehrere Museen an die Bedeutung des Jahrhundertkünstlers. Erst vor wenigen Tagen eröffnete im Grand Palais in Paris eine umfangreiche Ausstellung, die Rodins Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen beleuchtet.
Nogent-sur-Seine spielte im Leben der Bildhauerin Camille Claudel (1864 - 1943) eine wichtige Rolle. Sie zog mit 12 Jahren in das 6000-Seelen-Dorf und blieb dort drei Jahre. Dort schuf sie ihre ersten Skulpturen. Das Haus ihrer Familie wurde nun zum Museum umgebaut und um weitere Gebäudeteile erweitert. Entstanden sind 1.283 Quadratmeter für Ausstellungen. Der Architekt Adelfo Scaranello hat ein modernes Museums-Ensemble geschaffen, dessen Markenzeichen handgemachte Ziegel sind, die die Bestandsarchitektur mit dem Neubau verbinden. Das Museum schließt an das Stadtmuseum an, das Claudes erster Mentor, Alfred Boucher, 1902 ins Leben rief.
Ein Versuch, Claudel als Künstlerin neben Rodin zu stellen
Für Camille Claudels Großnichte, Reine Marie Paris, ist das Museum eine späte Wiedergutmachung an der Kunst und dem Genius der eigensinnigen Bildhauerin. "Auch wenn es spät kommt", sagt Paris, "ist das Museum ein Versuch, sie aus dem Schatten von Rodin herauszuholen". Paris hat ihr ganzes Leben daran gesetzt, Claudes Erbe zu erhalten und sich für das Ansehen der Künstlerin zu engagieren. Sie ist nicht nur die Autorin einer Biographie, sondern hat auch mehr als 70 Ausstellungen organisiert. Außerdem sammelt sie die Werke ihrer Großtante. Ihre Sammlung hat sie der Stadt Nogent-sur-Seine verkauft, als Grundstock für das neue Museum. "Es ist eine große Ehre für sie und für mich, weil ich so lange für Camille gearbeitet habe."
Besucher, die das neue Museum besichtigen, werden von einer Skulptur begrüßt, die genau wie Claudel selbst, vergessen und beschädigt ist - sie ist das Symbol einer verkannten Künstlerin. Besucher müssen sich ein bisschen gedulden, bis sie ihr gesamtes Werk entdecken können. Zunächst führt der Parcours durch die Geschichte der Skulpturen des 19. Jahrhunderts. Vorbei an Auguste Rodin und anderen Ikonen der Kunstgeschichte, bis man in Claudels Hauptraum gelangt.
Rodins Geliebte, Model, Muse und Assistentin
Das Museum zeigt auch Bildhauer, die mit Nogent-sur-Seine in Verbindung stehen. Einer von ihnen ist Boucher, der als Erster Claudels Talent erkannte. Er stellte sie auch Rodin vor, der schließlich an der Kunstakademie die Klasse übernahm, in der Claudel Schülerin war. Besucher lernen auch das beeindruckende Werk von Paul Dubois kennen. Hingucker ist das Reiterstandbild von Jeanne d'Arc. Im Gedächtnis bleibt der angstvolle Blick des Pferdes am Gipsmodell.
Das Museum kommt nicht darum herum, die komplizierte Beziehung zu Auguste Rodin am Beispiel der Skulptur "Crouching Woman", ("Lust") der sich umarmenden Paare, zu zeigen. Claudel war zehn Jahre lang Rodins Geliebte, sie war ihm Modell, Muse und Assistentin.
"Sie wurde immer nur als Schülerin Rodins angesehen", sagt Cécile Bertran, die Kuratorin des neuen Museums. "Natürlich gab es eine große künstlerische Nähe zu Rodin. Sie hatten vieles gemeinsam, aber Rodin wurde als erster bekannt." Obwohl sich Rodin für Camille Claudel einsetzte, war es ihr als Künstlerin nicht möglich, Wettbewerbe zu gewinnen und öffentliche Aufträge zu bekommen. Wie sehr ihr der Misserfolg zu schaffen machte, kann man der Skulptur "Das reife Alter" (1902) ansehen: Die Figurengruppe veranschaulicht Rodins Zaudern zwischen seiner bisherigen Geliebten, von der er sich letztendlich trennen wird, und Camille, die ihn anfleht, zu bleiben. Am Ende entscheidet sich Rodin, mit der viel älteren Rose Beuret zusammenzubleiben, die er 1917 auch heiratet.
Trennung von Rodin und Claudel
Rodins Abschied von seiner Geliebten ist ebenfalls zu sehen. Die Skulptur "L'Adieu" zeigt Camille mit kurzen Haaren. Ihr Gesichtsausdruck wirkt in sich gekehrt. Nach der Trennung entwickelte Camille Claudel eine panische Angst, dass Rodin ihr hinterherspionieren könnte, um ihre künstlerischen Ideen zu stehlen. Sie selbst zerschlug und zerstörte viele ihrer Skulpturen und Gipsabgüsse. Übrig geblieben ist nur eine kleine Anzahl von Werken. Im Alter von 48 Jahren wurde sie von ihrer Familie in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Dort blieb sie bis zu ihrem Tod 1943.
Eines ihrer stärksten Arbeiten, die Claudel auch selbst signiert hat, heißt "Die Schwätzerinnen" (1893). Eine winzige Skulptur aus Onyx. Sie zeigt, wie sehr sich die Künstlerin bemühte, ihren eigenen künstlerischen Weg einzuschlagen und sich von Rodins Einfluss frei zu machen. "Es ist eine kleine Szene, die eine große Wirkung erzielt", sagt Bertran. "Man hat den Eindruck, den Frauen beim Schwätzen zuhören zu können."
Ein Grab für das Künstler-Paar
Camille Claudel ist als Geliebte oder Muse von Rodin in die Kunstgeschichte eingegangen, was ihrer Wahrnehmung als eigenständiger Künstlerin immer im Weg stand. Doch die leidenschaftliche Beziehung half ihr auch. Dadurch ist ihr Werk so legendär geworden und bis heute bekannt. Camille Claudel ist es nie gelungen, zu Lebzeiten Aufträge für öffentliche Skulpturen zu ergattern. Durch das neue Museum, das ihren Namen trägt, wird das Andenken an ihr geniales Schaffen seine verdiente Öffentlichkeit bekommen - und nie mehr in Vergessenheit geraten.
Das Rodin-Museum in Paris beheimatet 30 ihre Skulpturen. Das neue Claudel-Museum in Nogent-sur-Seine stellt dauerhaft 43 Werke aus, zusätzlich sind noch einige Leihgaben von Sammlern und anderen Museen zu sehen.