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"Internet-Zensur hat eine Tradition"

Nalan Sipar6. Februar 2014

Das neue Internetgesetz in der Türkei beunruhigt die Verfechter der Meinungsfreiheit. Erdogan versuche die Lufthoheit über das Internet zu gewinnen, sagt die Organisation Reporter ohne Grenzen.

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Christoph Dreyer Pressereferent Reporter ohne Grenzen
Bild: Reporter ohne Grenzen/faceland berlin

Ungeachtet internationaler Kritik hat das türkische Parlament die Kontrolle des Internets deutlich verschärft. Behörden dürfen demnach den Zugang zu Internetseiten auch ohne richterlichen Beschluss sperren. Das Gesetz verpflichtet Internetanbieter zudem, Nutzer-Daten bis zu zwei Jahre zu speichern.Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in der Nacht zu Donnerstag für den Gesetzesvorschlag der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

Christoph Dreyer ist Pressereferent von der Organisation Reporter ohne Grenzen in Berlin.

Deutsche Welle: Wie bewerten Sie das neue Internetgesetz in der Türkei?

Christoph Dreyer: Wir finden es höchst problematisch und sehen darin eine drastische Ausweitung der Zensur- und Kontrollmöglichkeiten des Internets. Zum einen können Webseiten aufgrund ihrer Inhalte gesperrt werden. Das kann politisch eingesetzt werden, wenn zum Beispiel diskriminierende oder beleidigende Inhalte auf Webseiten als Sperrkriterien gelten. Zum anderen wird die rechtstaatliche Kontrolle weitgehend ausgehebelt.

Während der Gezi-Proteste in Istanbul bezeichnete Erdogan das Internet als eine "Plage", über das Lügen und Falschinformationen über seine Regierung verbreitet werden. Er hatte sich heftig über die Nutzer ereifert. Ist das neue Gesetz eine Konsequenz aus den damaligen Protesten gegen ihn und seine Regierung?

Damals wurde angekündigt, das Internet stärker zu regulieren. Das Internet und die sozialen Medien waren sehr wichtig, um überhaupt Informationen über so einen wichtigen politischen Vorgang zu verbreiten. Da wurde schon massiv gegen Leute, die Informationen über die Proteste verbreitet haben, vorgegangen. In der Vergangenheit wurde Youtube auch immer wieder gesperrt, weil Staatsgründer Kemal Atatürk kritisiert wurde. Also der politische Einsatz solcher Möglichkeiten hat eine traurige Tradition in der Türkei.

Seit geraumer Zeit scheinen wichtige Informationen und Beweismaterialien hinsichtlich der Korruptionsskandale in der Türkei im Internet zu kursieren. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Die Seiten, auf denen solche Informationen abzurufen waren, sind gesperrt worden. Es geht dabei nicht nur um diese Zensur, sondern das Ganze findet in einem Kontext statt, in dem Erdogan und AKP auf andere Weise versuchen, die Lufthoheit über das Internet zu gewinnen. Das zeigt einfach, dass die türkische Regierung erkannt hat, welches Potenzial darin für die öffentliche Meinung steckt und, dass sie versucht die Kontrolle darüber zu gewinnen.

Wie wirkt sich das Gesetz auf die deutsch- türkischen und auf die europäisch- türkischen Beziehungen aus?

Es gibt Bestrebungen von europäischer Seite das Justizkapitel im Zuge der EU-Erweiterungsgespräche mit der Türkei zu öffnen. Da glauben wir natürlich, dass solche Gesetze thematisiert werden müssen. Die EU und die Bundesregierung tun sehr gut daran, solche Dinge ganz scharf im Auge zu behalten. Das betrifft ja nicht nur den Bereich Internet, sondern auch andere Rechtstaatlichkeiten in der Türkei. Die Türkei ist seit Jahren eines der Länder weltweit mit den meisten Journalisten im Gefängnis.

Es werden bedeutungsoffene Kriterien geschaffen, nach denen Webseiten blockiert werden können. Menschen, die für pro-kurdische oder linke Medien arbeiten werden ganz schnell als Extremisten klassifiziert. Sie werden dann wegen des Vorwurfs des Terrorismus vor Gericht gestellt ohne, dass überhaupt klar ist, was ihnen vorgeworfen wird. Das alles ist höchstproblematisch und sollte unbedingt bei einem Dialog thematisiert werden.