Italien bittet um Europas Solidarität
8. Juli 2014In der Debatte um die europäische Flüchtlingspolitik zeichnet sich bisher keine gemeinsame Position ab. Bei einem Treffen der EU-Innenminister in Mailand hat der deutsche Ressorchef Thomas de Maizière Italien aufgefordert, dort eintreffende Menschen besser zu kontrollieren. Sie müssten im Land das vorgeschriebene Aufnahmeverfahren durchlaufen.
Es sei "interessant", dass viele Flüchtlinge, die dort ankämen, gar nicht in Italien blieben, sondern ein nicht unerheblicher Teil auch ohne die dafür vorgesehenen Verfahren in die nördlichen Staaten Europas, also Österreich, Deutschland und Schweden, komme, sagte de Maizière. "Darüber ist auch zu sprechen, wenn es um Solidarität geht." Auch Schwedens Minister für Einwanderung und Asyl, Tobias Billström, kritisierte: "Viele, die in Italien ankommen, reisen in andere Länder weiter." Laut EU-Recht ist das Land, in dem jemand zuerst eintrifft, dafür zuständig, den Asylantrag dieses Flüchtlings zu prüfen.
"Mittelmeer ist nicht allein Italiens Meer"
Seit Jahresbeginn haben über 65.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer Italien erreicht. Das Land fühlt sich überfordert und verlangt mehr Solidarität von der EU. "Das Mittelmeer ist nicht allein Italiens Meer", hatte Regierungschef Matteo Renzi zuletzt betont. "Es ist eine Grenze im Herzen Europas. Eine europäische Politik ist notwendig." Vor allem müsse die EU-Grenzschutzagentur Frontex die italienische Marine entlasten, sagte Innenminister Angelino Alfano bei dem Treffen mit seinen Kollegen. Frontex müsse "so bald wie möglich" die Rettung von Flüchtlingen vor der Küste übernehmen.
Der deutsche Innenminister sieht das anders. De Maizière sagte, es könne zwar nicht dauerhaft die Aufgabe der italienischen Marine sein, Flüchtlinge aufzunehmen. "Aber die Vorstellung, dass Frontex mit den bescheidenen Mitteln, die die Organisation noch hat, die Aufgaben der italienischen Marine übernimmt, halte ich für unrealistisch." Am wichtigsten sei es, in den Herkunftstaaten für stabile politische Verhältnisse zu sorgen.
Pro Asyl: Nicht nur zuschauen
Von der Organisation Pro Asyl kam Unterstützung für Italien. Es sei "unsolidarisch", wenn die anderen EU-Staaten zuschauten, "wie die italienische Marine Flüchtlinge rettet", und zugleich von Italien verlangten, sich um die Menschen zu kümmern, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt der Nachrichtenagentur AFP.
Da die Schutzsuchenden in der Regel in kleinen Booten übers Mittelmeer kommen, ist die Problematik in Italien besonders deutlich sichtbar. Nach dem Flüchtlingsunglück mit mehr als 360 Toten vor der Insel Lampedusa im vergangenen Oktober hat das Land die Operation "Mare Nostrum" gestartet, um das Mittelmeer mithilfe der italienischen Marine zu überwachen und Bootsflüchtlinge aufzugreifen. Der Einsatz kostet bis zu neun Millionen Euro monatlich. Die europäische Unterstützung ist aus Sicht der Regierung in Rom zu gering. Italien will "Mare Nostrum" zu einer EU-Operation machen, damit Kosten geteilt und Einsatzkräfte sowie Boote aus anderen Ländern entsandt werden.
23.000 Tote
Pro Asyl schätzt die Zahl der an Europas Grenzen gestorbenen Flüchtlinge auf 23.000 seit dem Jahr 2000. Dies zeige "die Dimension dieses größten Menschenrechtsskandals in der europäischen Flüchtlingspolitik", so die Organisation. Angesichts von Menschenrechtsverletzungen in Flüchtlingscamps in Libyen könne die Lösung auch nicht darin bestehen, Europa stärker abzuschotten. Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt sagte: "Es kann nicht richtig sein, dass ein vorgezogener Grenzwall geschaffen wird und die EU Länder wie Libyen finanziert, um die Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern."
EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat die EU-Staaten aufgefordert, gezielt mehr Menschen etwa aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufzunehmen. "Es ist dringend erforderlich, dass sich die EU-Mitgliedstaaten stärker bei der Umsiedlung von Menschen aus den Flüchtlingscamps nach Europa engagieren", sagte Malmström der Zeitung "Die Welt". "Wir sollten die Zahl der Umsiedlungen in jedem Jahr erhöhen. Die EU kann die Mitgliedsländer bei Umsiedlungen finanziell unterstützen."
jj/rb (dpa, afp)