Rosa Parks ist jetzt Berlinerin
7. April 2017Das kleine Haus sieht aus wie Hunderttausende andere in den amerikanischen Vorstädten: Zwei Stockwerke hoch, zwei Fenster breit, aus einfachem Holz gefertigt. Doch das hier ist kein gewöhnliches Haus. Hier lebte Rosa Parks, die Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.
Beinahe hätte es ihr Haus nicht mehr gegeben: Es sollte als eines von 8000 Häusern in Detroit abgerissen und dem Erdboden gleich gemacht werden. Aus, weg, vorbei. Nichts wäre mehr übrig geblieben. Nichts mehr von Rosa Parks, jener Frau, die sich im Jahre 1955 in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama weigerte, im Bus für einen Weißen aufzustehen. Das war der Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.
"Ende der 50er Jahren bedeutete dieses Haus Familie und Frieden für sie", erinnert sich ihre Nichte Rhea McCauley im Gespräch mit der Deutschen Welle. Nach Morddrohungen floh Rosa Parks damals wie Tausende andere Schwarze in den Norden und fand in Detroit bei ihrem jüngeren Bruder Unterschlupf. Von 1957-1959 lebte sie dort, gemeinsam mit der 15-köpfigen Familie des Bruders. Mit Näharbeiten und einem kleinen finanziellen Zuschuss der Kirche hielt sie sich über Wasser.
Vergebliche Rettungsversuche für das Rosa Parks Haus
Rosa Parks Nichte Rhea McCauley wandte sich an den Künstler Ryan Menoza, der gerade für ein Kunstprojekt in Detroit war. Sie bat Mendoza um Hilfe, als sie erfuhr, dass die Stadt Detroit das Haus ihrer berühmten Tante abreißen wollte. Kurz entschlossen hatte sie es gekauft, wusste aber dann nicht weiter. Mendoza, der sein Atelier in Berlin hat, wandte sich umgehend an den Bürgermeister von Detroit, um den Abriss noch in letzter Minute zu verhindern. Doch vergeblich. "Dem Bürgermeister war klar, dass hier Rosa Parks wohnte. Doch er hatte kein Interesse daran."
Nach weiteren vergeblichen Rettungsversuchen beschlossen Mendoza und die Familie von Rosa Parks, das Haus in Detroit abzubauen und in Berlin wieder aufzubauen. Das war für Mendoza und seine Helfer monatelange harte Handarbeit. Und es war kostspielig, doch Rhea McCauley fand, dass Deutschland einspringen müsste: "Die USA missachten Rosa Parks Vermächtnis. Das Land ist immer noch nicht erwachsen geworden. Und ein Baby-Land muss man von den besten Sachen fernhalten", verpackt sie ihre Bitterkeit in Humor. Mendoza geht in seiner Kritik sogar noch weiter: Die Missachtung des Hauses ist für ihn gleichbedeutend mit der Missachtung der Bürgerrechte.
Auch US-Präsident Donald Trump ist bisher nicht gerade durch Achtsamkeit gegenüber der Bürgerrechtsbewegung und ihren Errungenschaften aufgefallen. Im Gegenteil: Bewegungen wie Black Lives Matter weht der Wind gegenwärtig stark ins Gesicht.
Holz gewordene Anklage in Berlin
Jetzt steht das Haus also im Garten von Ryan Mendoza, direkt neben seinem Atelier. "Vor zwei Tagen kam eine Frau und fragte: Wo ist die Kunst?", erzählt er. "Doch genau das ist es. Ich wollte nicht viel verändern". Das Haus steht für sich selber, ist Holz gewordene Anklage. "Rosa Parks Haus sollte eigentlich ein nationales Denkmal sein und nicht ein Abrissprojekt", empört sich der in New York geborene Künstler immer noch. Wie ein Fremdkörper wirkt es jetzt hier, in der Nachbarschaft zu den Arbeiterwohnungen im Stadtteil Wedding. Aber erst einmal hat es in Berlin Asyl gefunden. Und Rosa Parks ist, wenn man so will, Berlinerin geworden. Zumindest vorübergehend, bis es sich die Amerikaner doch noch einmal überlegen.
Als Rhea McCauley das Haus kaufte, war es stinkend und voller Müll. Der immerhin ist in Detroit geblieben. Und auch Fensterscheiben sind nun wieder eingebracht. Die Blicke in das Innere des Haus versperren allerdings Vorhänge, und die Tür bleibt geschlossen. Darauf legt Ryan Mendoza wert: "Das Haus wurde so stark verletzt und missbraucht. Ich möchte ihm damit seine Würde zurückgeben", erklärt er. Wichtiger ist ihm, was man im Haus hört. Er hat eine Klanginstallation geschaffen. Ein Teil davon ist ein Telefoninterview, das Rosa Parks einem Radiosender gab. Mendoza hat herausgefunden, dass es in diesem Haus aufgenommen wurde.
Erinnerungen an Tante Rosa
Häuser stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Ryan Mendoza. Vor kurzem erst hat er in Rotterdam ein amerikanisches Holzhaus als sein "Weißes Haus" errichtet. In einem Armenviertel von Detroit hat er zwei Häuser mit den Namen der Präsidentschaftskandidaten Clinton und Trump bemalt und beide eingeladen, sich hier einmal die amerikanische Realität anzuschauen. Doch sie lehnten dankend ab.
Jeder bekomme große Augen, wenn er ein Haus sieht, erklärt Mendoza seine Vorliebe: "Wir alle können uns mit einem Haus identifizieren. Das ist die Idee der Kindheit. Im Haus stecken unsere Erinnerungen."
Erinnerungen kamen auch bei Rhea McCauley hoch, als sie jetzt nach Berlin flog, um das Haus ihrer Tante gemeinsam mit Ryan Mendoza der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie höre noch die Stimme ihrer Mutter, sehe ihren Vater im Garten Unkraut jäten und könne sich an die Essensgerüche erinnern, sagt sie. Und an ihrer Tante Rosa, die sehr Ehrfurcht gebietend gewesen sei. "Wenn sie einen angeschaut hat, dann hast du dich soooo klein gefühlt", erzählt sie und lässt dabei zwischen Daumen und Zeigefinger nur wenig Raum. Rosa Parks sei eine starke Frau gewesen. Nur dreimal in ihrem Leben habe sie ihre Tante weinen sehen: In der Kirche, nach der Ermordung von Martin Luther King und als sie von ihrer Demenz erfuhr.
Rhea McCauley hat die Hoffnung, dass die USA irgendwann "erwachsen" werden und das Vermächtnis ihrer Tante zu schätzen wissen. Dann könnte das Haus auch wieder zurück in die Heimat - dort, wo es eigentlich hingehört.