Ruanda: Ideen gegen den Verkehrskollaps
27. Juni 2018Autos, Busse, Motorradtaxis - Ruck um Ruck schiebt sich die Blechlawine vorwärts, in Schrittgeschwindigkeit. Es herrscht mal wieder Stau in Ruandas Hauptstadt Kigali, so wie meistens zu den Stoßzeiten am frühen Morgen und Abend. Im Stadtteil Nyabugogo, wo sich der zentrale Abfahrtsplatz für Busse und Taxis befindet, ist es derzeit besonders schlimm. Denn nur eine Fahrbahn ist freigegeben. Die andere wird gerade mit Baggern aufgerissen, um die Straße in die Innenstadt zu verbreitern. Am Straßenrand stehen Ruinen alter Häuser, Mauern halb eingerissen, um dem stetig wachsenden Verkehrsaufkommen Platz zu machen.
Taxifahrer Spiritto Mukiibi wartet am Taxiparkplatz auf Kundschaft. Stau sei für ihn Alltag, erzählt er: "Ich kann manchmal im Stau den Motor fast eine Stunde lang abstellen." Das sei für viele seiner Kunden sehr unangenehm, denn sie wollen pünktlich zum Ziel kommen, sagt er. Um der Lage Herr zu werden, hat Ruandas Regierung in den vergangenen Jahren nicht nur das Straßensystem, sondern auch den öffentlichen Nahverkehr ausgebaut. Neben Mukiibis Taxi parken Busse. Einige von ihnen fahren in die Vororte Kigalis, andere in die Provinzstädte. Das habe die Verkehrssituation stark verbessert, so Mukiibi. "Im Bus sitzen 40 Leute, im Auto nur eine Person - stell dir vor, die wären alle einzeln auf den Straßen unterwegs!"
Stau - ein Dauerproblem in Afrikas Hauptstädten
Stau ist Alltag in Afrikas Hauptstädten. Die meisten von ihnen wurden zu Kolonialzeiten zentralisiert geplant: Sämtliche Büros liegen im Zentrum, die Angestellten leben in den Vorstädten. Das heißt: Morgens strömen alle in die Innenstadt - und abends wieder hinaus. Die Straßen sind eng, oft mit nur einer Fahrbahn und mit kratertiefen Schlaglöchern. Es gibt kaum Ampeln oder Verkehrsleitsysteme. Städte wie Kenias Hauptstadt Nairobi, die nigerianische Wirtschaftsmetropole Lagos oder Ugandas Hauptstadt Kampala sind berüchtigt für ihren Verkehrskollaps - da geht zu Stoßzeiten oft stundenlang gar nichts mehr. Dadurch ist die Feinstaubbelastung in Afrikas Städten mitunter fast so hoch wie in den asiatischen Großstädten Mumbai oder Peking.
Auch Ruandas Hauptstadt Kigali ist davor nicht gefeit. Doch die Regierung bemüht sich, dem totalen Zusammenbruch des Verkehrs vorzubeugen. Der 2013 entwickelte Stadtentwicklungsplan "Smart City 2040" sieht intelligente Verkehrsleitsysteme vor, unterirdische Busbahnhöfe, ein ausgefeiltes Netz des öffentlichen Nahverkehrs. Ruandas Regierung setzt dabei auf umweltfreundliche Konzepte wie zum Beispiel Fahrradwege. Bereits jetzt gibt es im Finanzdistrikt eine Fußgängerzone mit unterirdischen Parkhäusern. Ruandas Regierung hat zu Beginn des Jahres per Gesetz einen Auto-freien Sonntag pro Monat eingeführt.
Ruandas wachsende Mittelschicht bringt mehr Privatautos auf die Straßen
Vieles wächst in Ruanda: die Einwohnerzahl Kigalis, die Wirtschaft des Landes, die Mittelklasse und damit auch die Zahl der Privatautos auf den Straßen. Laut dem nationalen Statistikbüro waren 2011 in Ruanda rund 105.000 Autos registriert. 2017 waren es bereits rund 184.000.
"Bislang importieren wir vor allem gebrauchte Fahrzeuge aus Dubai und Japan", so der ruandische Wirtschaftsanalyst Teddy Kaberuka. Doch selbst Gebrauchtwagen sind für afrikanische Familien teuer. Das liegt an den hohen Importzöllen in Höhe von bis zu 100 Prozent. Wenn ein Auto 10.000 US-Dollar kostet, muss der Kunde noch einmal dieselbe Summe für den Import zahlen. "Das ist doch total verrückt", sagt Kaberuka. Lokal hergestellte Autos wären theoretisch erschwinglicher, zumal sie frisch vom Band laufen. "Sie haben dann eine Laufzeit von 20 Jahren und nicht nur von fünf, wie die gebrauchten Autos", sagt der Analyst. Interessant seien für afrikanische Kunden auch Finanzierungsmodelle wie das Leasing. In Ruanda verlangten Banken für Kredite 18 Prozent Zinsen, sagt Kaberuka.
Geteilte Autos statt Privatwagen
Als erster Automobilhersteller hat Volkswagen auch ein Werk in Ruanda eröffnet. Es ist das vierte VW-Werk auf dem Kontinent nach Südafrika, Nigeria und Kenia. Das erste in Kigali gefertigte Auto ist ein weißer Polo. Neben dem Kleinwagen sollen Ruander bald auch Passat und den Geländewagen Teramont fahren, so das Ziel. Zu Beginn werden die Bauteile in Containern per Schiff und Lastwagen nach Kigali transportiert und im VW-Werk lediglich montiert. "Volkswagen macht in Ruanda vor, was wir uns von vielen weiteren deutschen Unternehmen wünschen: dass sie sich in Afrika wirtschaftlich engagieren", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. So könne ein Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung geleistet werden.
Die Investition in Höhe von 16 Millionen Euro ziele nicht in erster Linie darauf ab, Fahrzeuge für Privatkunden herzustellen, so Thomas Schäfer, Volkswagen-Chef in Südafrika und zuständig für den ganzen Kontinent. Stattdessen seien die ersten 150 Fahrzeuge für "Community-Car-Sharing" eingeplant: "Sie können sich anmelden als Firma oder Botschaft oder Ministerium, kriegen eine bestimmte Anzahl an Autos zur Verfügung gestellt und können die dann benutzen", so Schäfer. Die nächsten 150 Fahrzeuge sollen für "Ride-Tailing" eingesetzt werden, also als Taxis, die über eine Smartphone-App gebucht werden können. Und Anfang nächsten Jahres soll es auch Car-Sharing für Privatnutzer geben, so Schäfer. 500 bis 600 Fahrzeuge sollen in diesem Jahr im VW-Werk zusammengebaut werden. "Nebenher bauen wir natürlich aber auch für den Privatkunden oder Firmenkunden", sagt Schäfer.
Entworfen hat die Car-Sharing-App das ruandische Startup-Unternehmen Awesomity. Im Herbst 2017 hatten sich die jungen Informatiker auf eine Ausschreibung beworben, erzählt Lionel Mpfizi. Der 21-jährige Informatik-Student hatte 2013 mit drei Freunden für einen nigerianischen Kunden schon einmal eine App entwickelt. Im vergangenen Jahr ging dann alles ganz schnell: "Als Volkswagen nach Ruanda kam, wollten sie mit jungen IT-Startups zusammen arbeiten und luden uns ein", erzählt er lachend. Es sei eine große Herausforderung gewesen, mit einem solchen gigantischen Konzern zusammen zu arbeiten. "Wir mussten viel lernen, aber am Ende haben wir es geschafft."