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Rufmord im Falle Walser?

2. Juni 2002

In der Debatte um den Walser-Roman hat sich auch die Literaturkritikerin Sigrid Löffler zu Wort gemeldet. Sie gehörte zu Reich-Ranickis "Literarischem Quartett", bevor sie sich mit ihm und er sich mit ihr überwarf.

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Sigrid LöfflerBild: Literaturen

Sie habe keine antisemitische Absicht in Tod eines Kritikers finden können, erklärte Sigrid Löffler am Sonntag (2.Juni 2002) in der Sendung "Kulturfragen" des Deutschlandfunks.

Die Textart "Satire"

Auch wenn man literarisch viel gegen den Schlüsselroman einwenden könne, halte sie das Buch weder für antisemitisch noch für einen Skandal. Die Hauptstoßrichtung des Romans sei gegen "die Medienfigur, den Medienscharfrichter Ehrl-König gerichtet, gegen diesen Dompteur des Literaturbetriebs", dessen Vorbild Marcel Reich-Ranicki "übertrieben, überzeichnet und somit zur Kenntlichkeit entstellt" werde. In einer Satire sei das aber erlaubt.

Eigennützige Vorverurteilung durch die FAZ

In den Diskurszusammenhang des Antisemitismus werde die Öffentlichkeit durch die Medienkampagne und die lautstarke Vorverurteilung des Romans erst gezwungen, meinte Löffler. Als Literaturkritikerin plädiere sie demgegenüber für eine unvoreingenommene Lektüre des Textes. Löffler griff auch den Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, scharf an.

Sie bezweifele, dass Schirrmacher aus moralischen Motiven und ehrlicher Entrüstung handele: "Das Timing verrät ein genaues Kalkül." Mit dieser Kampagne nun Profit aus der Möllemann-Debatte schlagen zu wollen, seif ahrlässig. "Meinungen von Figuren sind ein total anderes Feld als die politische Rede zumal in Vorwahlzeiten. Dass diese Hysterisierung nun umgelenkt wird auf einen nicht einmal veröffentlichen literarischen Text, den kein Leser selbst überprüfen kann, halte ich für bedenklich."

Stumpft die Öffentlichkeit ab?

Walsers Roman und die Äußerungen eines Möllemann in Deutschland oder Jörg Haiders in Österreich sind nach Ansicht Löfflers nicht vergleichbar. Im Zusammenhang mit den Vorverurteilungen des Romans warnte die Literaturkritikerin auch vor der inflationären Verwendung des Antisemitismus-Vorwurfs in den Medien. Wer zu oft "Feuer" schreie, stumpfe die Öffenlichkeit ab.