Rumänien: Rückfall in Nationalismus
9. Dezember 2016"Korruption tötet!" Mit diesem Ruf der Verzweiflung waren vor einem Jahr Zehntausende meist junge Rumänen auf die Straße gegangen, um gegen das korrupte politische Establishment zu demonstrieren. Auslöser war die Brandkatastrophe in einem Bukarester Nachtclub mit über 60 Toten. Die Proteste führten zum Rücktritt des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Victor Ponta und seiner gesamten Regierung. Eine Expertenregierung unter dem parteilosen ehemaligen EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos wurde von Präsident Klaus Iohannis eingesetzt. Diese hat in einem Jahr die politische und wirtschaftliche Lage stabilisiert und ist den Forderungen der Demonstranten nach Respekt, Verantwortung und Transparenz von Seiten der politischen Klasse sichtbar nachgekommen.
Bei den Parlamentswahlen an diesem Sonntag wird sich zeigen, ob der eingeschlagene Kurs der Regierung Ciolos weitergeführt werden kann. Und diesmal sind es die Überlebenden der Brandkatastrophe, die sich in einer Videobotschaft an die Rumänen richten: "Wir wissen, dass es Dich schmerzt, was aus diesem Land geworden ist, dass Korruption, Bürokratie, Vetternwirtschaft weh tun. Wenn Du gleiche Rechte und Gesetze willst, die Dich schützen, musst Du wählen gehen!", beschwören sie ihre Landsleute in ihrem emotionalen Appell.
Schlammschlacht in den Medien
Der Aufruf geht allerdings in der TV-Schlammschlacht des Wahlkampfes fast unter. Vertreter der sozialdemokratischen PSD und ihre gleichgeschalteten Medien wettern gegen alles, was nicht "ur-rumänisch", was "fremdländisch" ist. Ciolos, der sich bereit erklärt hat, bei einem Sieg der National-Liberalen Partei (PNL) und der neuen Bürgerbewegung Union zur Rettung Rumäniens (USR) weiter als Premierminister zur Verfügung zu stehen, sei aus Brüssel gelenkt und Freimaurer, die Antikorruptions-Behörde DNA, die erfolgreich gegen korrupte Politiker ermittelt und einige von ihnen hinter Gitter gebracht hat, würde aus der EU und den USA ferngesteuert, der deutschstämmige Präsident Klaus Iohannis sei kein "richtiger Rumäne": Dies alles läuft täglich über die Bildschirme der sozialdemokratischen Propagandamaschine. Das Sahnehäubchen auf dieser nationalistischen Torte: Hinter der "anti-rumänischen Verschwörung" soll der US-Milliardär und Philanthrop ungarisch-jüdischer Herkunft George Soros stehen. Soros habe sein Projekt einer Offenen Gesellschaft in den letzten zwei Jahrzehnten nur deshalb finanziert, um die Kontrolle über Rumänien zu erlangen.
Diese schrillen Töne sind in Rumänien nicht neu. Gleich nach der politischen Wende im Dezember 1989 wurde von den neuen ex-kommunistischen Machthabern der Slogan ausgegeben: "Wir verkaufen unser Land nicht!" Damit wurde zumindest in den ersten Jahren nach dem Sturz des kommunistischen Diktators Ceausescu dem Aufbau demokratisch-liberaler Strukturen unter Einbeziehung zurückgekehrter Persönlichkeiten aus dem Exil, aber auch einem stärkeren Engagement ausländischer Investoren ein Riegel vorgeschoben.
Nach dem NATO- und EU-Beitritt (2004 beziehungsweise 2007) schwächten die nationalistischen Tendenzen ab, um dann im Präsidentenwahlkampf 2014 wieder in den Vordergrund zu rücken. Der PSD-Spitzenkandidat und Ex-Premierminister Victor Ponta äußerte sich abfällig über die Zugehörigkeit seines Kontrahenten Iohannis (PNL) zu einer ethnischen und religiösen Minderheit - Iohannis ist evangelischer Rumäniendeutscher. Die Rechnung der Sozialdemokraten ging nicht auf, Iohannis wurde Präsident.
Umfragen: Sozialdemokraten liegen vorne
Doch diesmal scheint die Strategie der PSD und ihrer kleineren verbündeten Parteien zu fruchten. Obwohl der frühere sozialdemokratischen Parteichef Ponta wegen Korruption ins Visier der Justiz gerückt ist und der amtierende PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen Wahlmanipulation verurteilt wurde, liegt die Partei in einer letzten Umfrage des rumänischen Instituts IRES bei 44 Prozent. Es ist vor allem die ältere "systemtreue" Bevölkerung, die traditionsgemäß für die alten Machtstrukturen stimmt. Die beiden Parteien, die eine Reform-Politik des amtierenden Premiers Ciolos unterstützen, kommen auf 23 Prozent (PNL) und 7 Prozent (USR).
Unterstützung bei einer eventuellen Regierungsbildung bekommt die PSD von einer liberalen Splittergruppe (ALDE, 6 Prozent in der Umfrage). Überraschenderweise hat auch der frühere konservative Staatspräsident Traian Basescu nationalistische Töne im Wahlkampf angeschlagen und erhofft sich dadurch ein besseres Ergebnis für seine Partei der Volksbewegung PMP (6 Prozent in der Umfrage).
Um den Einzug ins Parlament bangen muss die politische Vertretung der ungarischen Minderheit in Rumänien, UDMR, die bisher oft das Zünglein an der Waage bei Regierungskoalitionen aller Couleur war und die in der IRES-Umfrage knapp über der 5-Prozent-Grenze liegt. Ob der Blitzbesuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban in Nordrumänien am Donnerstag vor der Wahl die Minderheit zum geschlossenen Urnengang bewegt, ist fraglich. Viele Ungarn in Rumänien sind mit ihren politischen Vertretern unzufrieden.
"Generation Facebook" will den Wandel
Dass es unmöglich ist, eine politische Elite über Nacht zu verändern, weiß auch die "Generation Facebook", die sich aktiv ins Wahlgeschehen einmischt. Die gut ausgebildete jüngere Generation will das System der Vetternwirtschaft und korrupten Netzwerke nicht länger dulden, sie will sich ihren Rechtsstaat nicht wegnehmen lassen. Deshalb auch der flammende Aufruf der Überlebenden der Brandkatastrophe, der zigtausend Mal im Netz geteilt wurde.
Die Wahlbeteiligung der jungen Generation, ganz gleich ob in Rumänien oder im Ausland - viele junge Rumänen haben ihr Land verlassen, weil sie für sich und ihre Familien zu Hause keine Zukunft sahen - wird darüber entscheiden, ob Rumänien in alte politische Muster zurückfällt oder den Weg des begonnen Systemwechsels weitergeht.