Rumänien in Zeiten der Schweinepest
28. Dezember 2018Es war an einem Montagmittag Mitte Dezember, als sich alle Bauern im südrumänischen Dorf Rusanesti vor dem Bürgermeisteramt einfinden mussten. Die junge Amts-Veterinärin trat vor die angespannte Versammlung und verkündete, alle Schafe und Ziegen müssten in den nächsten sechs Wochen getötet werden. Wegen der Epidemie. Es gäbe zwar noch keinen einzigen nachgewiesenen Fall, aber man müsse vorsichtig sein.
Die Bauern reagierten verstört. Erst zwei Wochen zuvor, Ende November, waren Angestellte der Veterinärbehörde ins Dorf gekommen, um alle Schweine zu töten. Wegen der Schweinepest. Die Dorfbewohner hatten sich widersetzt gegen die für sie völlig überraschende und unverständliche Maßnahme. Hatte es doch immer geheißen, dass ihr Dorf von der Seuche verschont geblieben war, die sich in mehreren Regionen Rumäniens ausgebreitet hatte. Ja, am anderen Flussufer seien mehrere infizierte Wildschweine daran gestorben, aber ihr Dorf sei "sauber" geblieben.
Zunächst musste das Tötungskommando unverrichteter Dinge abziehen, aber wenige Tage später kam es zurück: am 1. Dezember, dem rumänischen Nationalfeiertag, dem 100. Jahrestag der "Großen Vereinigung", unter der Führung eines hohen regionalen Regierungsvertreters, und in Begleitung mehrerer Dutzend Gendarmen. "Es waren mehr Gendarmen als Dorfbewohner", erzählt einer der Bauern. "Sie stellten sich vor jeden Hof, wir hatten große Angst."
Alle Schweine, fast 600 Tiere, seien regelrecht hingerichtet worden, fügt ein anderer Dorfbewohner hinzu. Den Bürgermeister müsse man dazu befragen, aber das mache überhaupt keinen Sinn, mischt sich ein weiterer Bauer ins Gespräch ein: "Der redet sowieso nicht mit Euch."
EU-Gelder verschwinden
Und tatsächlich: Bürgermeister Alexandru Chirea will der DW kein Interview geben. Viele Bewohner von Rusanesti glauben, dass er die Wurzel des Übels ist, das ihnen widerfährt. Chirea ist ein Neffe von Paul Stanescu, Vizepremier in Bukarest und regionaler Parteichef der Sozialdemokraten (PSD). Stanescu hat den Mut aufgebracht, den mächtigen Parteichef Liviu Dragnea zu kritisieren. Deshalb glauben viele Bauern im Dorf, Dragnea lasse ihre Tiere töten, um seinem Widersacher indirekt zu schaden.
Es klingt wie ein Racheakt nach Mafia-Art. Aber es sei auch viel Geld im Spiel, wollen einige wissen: Wenn alle Tiere getötet seien, könnten die Weiden als Agrarland ausgewiesen werden. Dafür gebe es fette Subventionen von der EU - mehr als 100 Euro pro Hektar und Jahr. Der Bürgermeister Chirea sei im Besitz von rund 3000 Hektar.
Den Bauern wurde eine Entschädigung für jedes getötete Schwein versprochen. Doch bisher haben sie davon keinen Cent gesehen. Dabei hat die Europäische Kommission das Geld für solche Fälle schon vor Monaten bereitgestellt.
Lange hatte sich der amtierende Agrarminister Petre Daea jedoch geweigert, die Existenz der Schweinepest in Rumänien überhaupt offiziell zuzugeben. Und dies, obwohl die Presse fast jeden Tag über neue Seuchenherde berichtete. Lokale Maßnahmen wurden zwar getroffen, aber eine Strategie gegen die Ausbreitung der Krankheit gab es nicht. Damit die sozial-liberale Regierungskoalition die Seuche öffentlich anerkannte, brauchte es Alarmzeichen von Staatspräsident Klaus Iohannis und Dacian Ciolos, rumänischer Premierminister 2015 bis 2017 und einst EU-Agrarkommissar.
Ciolos: "Das Risiko zu scheitern ist groß"
Eben dieser Petre Daea wird für die nächsten sechs Monate die Treffen der EU-Agrarminister leiten. Denn Anfang 2019 übernimmt Rumänien turnusgemäß den Vorsitz des EU-Rates. Er selbst gibt sich selbstbewusst: "Ich bin eine Autorität, ich werde meine Kompetenz beweisen", erklärte er kürzlich. Doch nicht nur seine Kritiker bezweifeln, dass ihm dies gelingen wird. Und Daea ist nicht das einzige Regierungsmitglied, dessen Kompetenz in Frage gestellt wird.
Allen voran Premierministerin Viorica Dancila wird nicht viel zugetraut. Präsident Iohannis hat zwar in Brüssel und Straßburg versichert, dass sein Land diese äußerst wichtige Aufgabe meistern werde. Im Inland allerdings äußerte er sich anders. "Meiner Meinung nach sind wir nicht darauf vorbereitet", sagte der Staatschef bei einem Treffen mit Lokalpolitikern.
Ministerpräsidentin Dancila und ihr mehrfach wegen Wahlbetrugs und Amtsmissbrauchs verurteilter Parteichef Dragnea haben die wiederholte Kritik seitens des Präsidenten scharf zurückgewiesen. Dragnea warf Iohannis sogar Landesverrat vor. Doch auch aus dem EU-Parlament und der EU-Kommission kommen skeptische Äußerungen.
Dancilas Vorgänger Ciolos sagt, man müsse bei den Ministern einen gewissen Kompetenzmangel feststellen. Vertrauen, sagte er der DW, habe er dagegen in die vielen Fachleute, die in den rumänischen Ministerien gute Arbeit leisteten: "Ich hoffe sehr, dass die Minister auf die Kompetenz dieser Fachleute zurückgreifen."
"Sie werden unsere Schafe töten"
Die EU werde vorangehen, so Ciolos, mit oder ohne eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft Rumäniens. "Das Risiko zu scheitern ist jedoch groß." Als möglichen Schwachpunkt nennt er das Agrar-Ressort: "Die Art, wie die Schweinepest in Rumänien gelöst oder, besser gesagt, nicht gelöst wurde, hat uns in eine katastrophale Situation gebracht."
Agrarminister Daea mag darüber anders denken, ein Interview mit der DW kam nicht zustande. Die Bewohner von Rusanesti äußern ihre Ansichten über die gegenwärtige Regierung in Bukarest umso deutlicher: "Die sind dort fehl am Platz", sagt Landwirt Marcel Voicu. "Die können doch gar nicht regieren!" Er selbst fahre einen Traktor. Wenn man ihn ans Steuer eines Flugzeugs setzen wollte, würde er sich weigern, weil er die Kompetenz dafür nicht habe. "Warum wechselt man diese unfähigen Minister nicht aus?", fragt er. Das Land brauche Leute, die wüssten, wie man regiert. "Im Januar werden sie unsere Schafe töten", prophezeit Lilian Caminescu düster. Und später, im Juni, seien die Büffel und Kühe an der Reihe.