Zwischen Freude und Skepis
24. Dezember 2013Freude ist das vorherrschende Gefühl in diesen Tagen bei den Vertretern der russischen Opposition. Freude über die Freilassung des Kreml-Kritikers Michail Chodorkowski sowie der Pussy-Riot-Sängerinnen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina.
"Die zehn Jahre in Haft hat er mit Mut und Würde überstanden. Was geht jetzt in seinem Kopf vor? Egal, was er momentan fühlt, wir müssen ihm gratulieren, dass er nun seine Lieben umarmen kann", schreibt Oppositionsführer Alexej Nawalny in seinem Blog kurz nach der Freilassung von Michail Chodorkowski.
"Es ist ein Sieg von Chodorkowski. Dank seiner Haltung, dank des Kampfes der russischen Menschenrechtler und nicht zuletzt dank der deutschen Politiker ist er nun endlich frei", sagt Soja Swetowa im Interview mit der DW. Sie ist Menschenrechtlerin und Autorin eines Buches über politische Gefangene in Russland.
Anders wird die Situation in den russischen Staatsmedien dargestellt. Sie feiern Wladimir Putin als den Gewinner. Chodorkowski sei eingeknickt und habe Putin um Gnade gebeten, somit habe er seine Schuld eingestanden. Im Staatsfernsehen wird der einstige Ölmagnat als "falscher Held" bezeichnet.
Imagepolitur vor den Winterspielen
Die Vertreter der Zivilgesellschaft rätseln, warum Wladimir Putin seinen wichtigsten Feind begnadigte. "In den vergangenen Jahren gab es einen Grundsatz: Chodorkowski bleibt in Haft, solange Putin an der Macht ist. Was nun? Kommt eine neue Epoche, die den alten Grundsatz außer Kraft setzt?" schreibt der russische Dichter Lew Rubinstein in seinem Facebook-Account.
Viele russische Menschenrechtler glauben, dass Putin mit der Begnadigung von Chodorkowski und der Amnestie von vielen Gefangenen das Image des Landes verbessern möchte. Der ehemalige sowjetische Dissident Wladimir Bukowskij schreibt im Online-Portal "Snob", dass die Kampagne für den Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi für den Kreml äußerst unangenehm ist. "Die Regierung veranlasst diese Spiele, um das Image Russlands zu verbessern und nicht umgekehrt", meint Bukowskij.
Er sieht einige Parallelen zur Situation vor den Olympischen Spielen 1980 in Moskau. Damals sei die Kampagne für deren Boykott auch erfolgreich gewesen, die Regierung habe viele politische Gegner freigelassen.
"Die Winterspiele sind Putins Lieblingswerk. Als bekannt wurde, dass sechs Staatsvertreter nicht nach Sotschi kommen wollen, musste er etwas machen - und sei es, seinen Erzfeind freilassen", sagt Soja Swetowa.
Engagement für Menschenrechte in Gefängnissen
Die russische Zivilgesellschaft erwartet von Chodorkowski und den beiden Pussy-Riot-Sängerinnen, dass sie sich für die Einhaltung der Menschenrechte in den russischen Gefängnissen einsetzen. Das bekräftigten die drei nach ihrer Freilassung. Doch im Unterschied zu Tolokonnikowa und Aljochina will Chodorkowski sich von der Politik fernhalten. "Solange sein Geschäftspartner Platon Lebedew in Haft bleibt, kann Michail Chodorkowski nicht frei reden und agieren", erklärt Soja Swetowa.
Der Galerist und Bürgerrechtler Marat Gelman misst den Pussy-Riot-Sängerinnen die entscheidende Rolle bei. In seinem Blog betont er, dass sie und nicht Chodorkowski zum Symbol des Widerstands gegen Putin geworden sind. Chodorkowski könnte sich mit Wohltätigkeit beschäftigen oder ein Buch schreiben, glaubt Wladimir Bukowskij. "Die Menschen wollen wissen, wie es war. Die zehn Jahre im Gefängnis werden seinen Memoiren viel Gewicht geben."
Sorge um andere Gefangene
Olga Romanowa leitet die Bürgerinitiative "Das einsitzende Russland". Es ist eine Vereinigung von Verwandten russischer Gefangener. Was war ihr erster Gedanke nach der Freilassung von Chodorkowski? "Die Welt hat sich verändert. Merkel ist die tollste. Wow", erklärt sie im Interview mit der DW.
Soja Swetowa meint, dass man die begrenzte Anzahl der Freilassungen von politischen Gefangenen nicht mit der Tauwetter-Periode von Chruschtschow oder mit der Massenamnestie von Gorbatschow vergleichen kann. "Putin wird nach den Olympischen Spielen wüten. Lasst uns nicht im Stich!" sagt Olga Romanowa.
"In den vergangenen Jahren fühlten wir russischen Menschenrechtler uns vom Westen verraten und im Stich gelassen", sagt Swetowa. Mit dem Einsatz für die Freilassung von Chodorkowski habe der Westen das Vertrauen der russischen Bürgerrechtler zurück gewonnen. Nun dürfe der Druck auf die russische Regierung aber nicht nachlassen: "Die bekanntesten politischen Gefangenen sind frei gekommen, aber hunderte von unschuldigen Menschen bleiben weiterhin in Haft."