Rot ist ihre Farbe
23. Februar 2018Niemand hat den Fans die Fahnen abgenommen, als die 15-Jährige in die Luft sprang. Weiß-blau-rot-gestreift - die Flagge Russlands. Die Zuschauer dürfen sie haben, im Gegensatz zu den Sportlern. Die Fahnen hingen direkt hinter Alina Zagitova, als sich die Sportlerin über ihren Olympiasieg freute. "Alle Fans erwarten von uns Athleten aus Russland, ganz oben zu sein", hatte die junge Athletin zuvor bei den Reportern zu Protokoll gegeben. Dass sie eigentlich dem Olympia-Team angehörte, den Olympischen Athleten aus Russland (OAR), ließ sie an dieser Stelle unerwähnt.
Es wäre vielleicht zu viel verlangt von einer 15-jährigen, den ganzen Druck und die sportpolitische Absurdität dieser Olympischen Spiele auf ihre schmalen Schultern zu nehmen. Wobei ... Zagitova hatte zuvor noch recht gut gezeigt, wie gut sie mit dem Thema Druck umgehen kann. Einen Wimpernschlag vor ihrer - Pardon: russischen - Sports- und Trainingskameradin Jewgenija Medwedjewa (18) liegend, lief sie fehlerfrei über das Eis und kombinierte den dreifachen Lutz mit dem dreifachen Rittberger. Gold!
Tolstoi twittert nicht. Aber Medwedew
Und da mochte die Hallensprecherin noch so beherzt "Olympics Athletes of Russia" in ihr Mikrofon rufen: Hier war völlig klar, welches Land hinter dieser jungen Frau und auch anderen Sportlerinnen und Sportlern steht. Feuerrot, ihr Paillettenkleid. Wenn noch jemand Zweifel hatte: Auch Teamkameradin Jewgenija wählte ein rotes Outfit, wenn auch Nuancen dunkler. Medwedjewa lief ebenfalls fehlerfrei, aber nach dem Rückstand im Kurzprogramm: Silber! Eigentlich hatte sie unter neutraler Flagge nicht nach Pyeongchang reisen wollen, überlegte es sich dann aber anders. Ihre Musik: das Thema von Anna Karenina, der Liebesgeschichte, die sich einst ein gewisser Leo Tolstoi ausgedacht hat.
Tolstoi hat noch nicht getwittert. Aber Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew nutzte unmittelbar nach der Goldentscheidung für die Sportlerinnen - aus, Pardon: Russland - den Kurznachrichtendienst, um zum Ausdruck zu bringen, was wahrscheinlich alle Sportfans in Russland dachten: "Alina Sagitowa, Jewgenija Medwedjewa, Gratulation! Wir sind stolz!"
Wie immer Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit Diplomatenpass, diese diplomatische Verrenkung beendet - in den Augen vieler Beobachter kann er es eigentlich nicht mehr richtig machen. Lässt er die Russen zur Schlussfeier unter der jetzt noch an den Wettkampfstätten verbotenen russischen Fahne zu? Oder werden sie wieder den olympischen Ringen hinterherlaufen und dabei ins Publikum schauen, wo wieder die eigentlichen Fahnen auftauchen werden? So wie zuvor bei den Spielen der russischen Eishockey-Nationalmannschaft. Korrespondenten aus Pyeongchang berichten, das "Haus des Sports" für die 168-köpfige OAR-Mannschaft stecke voller Erinnerungen an die Heimat unter dem Leitmotiv an der Wand: "Russland in meinem Herzen".
Alles nur Symbolik? Und damit letztlich: egal? Nicht ganz. Richard Pound, der Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur, hat im IOC schon gesagt, was er von einer Rehabilitierung Russlands bei der Schlussfeier hält: nichts. Seinen Flug wollte er umbuchen und sich die Zeremonie schenken. Der OAR-Curler Alexander Kruschelnizki und seine Frau gaben nach dem positiven Dopingbefund schnell ihre Bronzemedaille nach dem Mixed-Wettbewerb zurück. Nun ist von einem weiteren positiven Dopingbefund bei der Bobfahrerin Nadescha Sergejewa die Rede. Sicherheitshalber wurden unterdessen die 15 Millionen US-Dollar überwiesen, die man vom russischen Nationalen Olympischen Komitee (ROC) gefordert hatte. Für den Anti-Doping-Kampf, versteht sich.