Russischer Machtkampf
17. Juli 2003Die Fahnder der Generalstaatsanwaltschaft drangen in Mannschaftsstärke in die Archivräume ein. 20 maskierte Beamte suchten nach Belastungsmaterial. Die Archivmitarbeiter mussten sich wie Schwerverbrecher auf den Boden werfen, das Gesicht nach unten. Es war keineswegs ein Justizirrtum. Die Durchsuchung der Diensträume des Ölkonzerns Yukos Mitte Juli 2003 in Moskau beschwört fünf Monate vor den Parlamentswahlen in Russland einen Machtkampf zwischen dem Kreml und den mächtigsten Geschäftsleuten des Riesenreiches herauf.
Konfrontationskurs zum Kreml
Wenn in Russland die Staatsanwaltschaft mit schwerem Geschütz gegen Unternehmer vom Schlage des mehrfachen Milliardärs und Yukos-Mehrheitseigners Michail Chodorkowski vorgeht, ist nach gängiger Meinung auch immer die Politik mit im Spiel. Chodorkowski hatte damit begonnen, Oppositionsparteien zu finanzieren und war damit auf Konfrontationskurs zum Kreml gegangen.
Bereits Ende Juni 2003 war laut russischer Medien der Geschäftsmann Platon Lebedew verhaftet worden, Hauptfinanzier der wichtigsten Yukos-Aktionäre. Seine Festnahme wird in Russland ebenfalls als Warnung gegen Yukos-Anteilseigner Chodorkowski bewertet.
Demonstrative Festnahme
Mit dem gezielten Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen Yukos und Drohungen gegen andere Großkonzerne scheint eine stille Abmachung zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Oligarchen aufgekündigt worden zu sein. Bislang durften die Topmanager das, was sie durch persönliche Kontakte zur Macht an Öl- und Rohstoffgesellschaften gewonnen hatten, behalten. Dies galt nach Einschätzung russischer Medien solange, wie die Oligarchen sich aus der Politik heraushalten. Doch dagegen hat Chodorkowski mit seiner Unterstützung für die Parteien "Jabloko" und "Verband rechter Kräfte" offenbar verstoßen. Die demonstrative Festnahme Lebedews wird jedoch in Russland nicht als Auftakt weiterer Verfahren gegen das Kapital im Land beurteilt, sondern als Verwarnung der Oligarchen.
Ein enger Geschäftspartner Chodorkowskis soll in den 1990er-Jahren bei der Privatisierung eines Staatsbetriebes Millionen veruntreut haben. "Vieles von dem, was in den vergangenen Jahren in unserem Land geschehen ist, war alles andere als gesetzeskonform", bestätigt der Wirtschaftsberater von Präsident Putin, Andrej Illarionow. Im Geschäft mit Aluminium, Nickel und Edelmetallen, bei den Ölreserven und in der Schwerindustrie lagen die Staatsanteile auf der Straße. Wer reich und rücksichtslos genug war, griff einfach zu und machte Milliardengeschäfte.
Unterstützung der Unternehmer
Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Politik bis in den Kreml aufs Engste mit den Oligarchen genannten Wirtschaftsbossen verflochten. Putins Vorgänger, Boris Jelzin, benötigte für seine Wiederwahl im Jahr 1996 die Unterstützung der Unternehmer. Geschäftsleute wie der später bei Putin in Ungnade gefallene Boris Beresowski oder auch Chodorkowski finanzierten den Wahlsieg Jelzins über die Kommunisten und bekamen als Gegenleistung Beteiligungen an Staatsbetrieben.
Auch Putins Wahl zum Präsidenten vier Jahre später war nur durch die Unterstützung der "Jelzin-Familie" möglich. Bis heute treibt der Staat bei den Oligarchen "freiwillige Spenden" für Großprojekte wie die Jubelfeiern zum 300. Geburtstag der Stadt Sankt Petersburg ein. Der jüngste Konflikt sei auch ein Machtkampf im Kreml zwischen den Statthaltern der "Jelzin-Familie" und den Gefolgsleuten Putins aus dessen Zeit als Geheimdienstmitarbeiter des KGB und als Politiker in Petersburg, vermuten russische Journalisten.
Vertrauen geht verloren
Von den Vorstößen der Justiz ermutigt, könnten vor allem die Kommunisten die umstrittenen Privatisierungen zum Wahlkampfthema machen. Wirtschaftsexperten warnen vor den Folgen. Russland verliere das nach der Finanzkrise 1998 mühsam wieder aufgebaute Vertrauen ausländischer Investoren, heißt es.
Viele Russen sehen Oligarchen wie Chodorkowski mit einem geschätzten Vermögen von bis zu sieben Milliarden Euro, Michail Fridman - Chef der Alfa-Gruppe - oder Konzernchef Oleg Deripaska von Base Element dagegen als Kriminelle. Sie seien nicht mit eigener Arbeit, sondern durch geschickte Übernahmen, durch Bestechung und Bedrohung zu ihrem gigantischen Reichtum gelangt, ist in privaten Gesprächen immer wieder zu hören.
Gestohlenes Geld
Als der Ölmagnat Roman Abramowitsch Anfang Juli 2003 für mehr als 40 Millionen Euro den britischen Traditions-Fußballclub Chelsea London kaufte, hagelte es in Russland Proteste. "Das ist Geld, das er uns gestohlen hat", riefen erboste Zuhörer in das Sorgentelefon des Radiosenders "Echo Moskwy". (kap)