Russland, der Westen und die Zukunft der GUS-Staaten
24. März 2005Einige der Nachfolgestaaten der untergegangenen Sowjetunion orientieren sich immer stärker in Richtung NATO und EU. Russland wiederum strebt weiterhin danach, seine Einfluss-Sphäre im postsowjetischen Raum auszubauen. Es bahnen sich außenpolitische Kollisionen an. Die Veränderungen auf der politischen Landkarte Europas, die Rosenrevolution in Georgien und die Orange-Revolution in der Ukraine, die Annäherung einiger GUS-Staaten an den Westen, stellen Russlands Außenpolitik vor ganz neue Fragen.
Die Bündnispartner gehen verloren
Noch scheint ungewiss, ob Moskau sich für die Beibehaltung seines Westkurses entscheidet, oder ob man sich von der Europäischen Union und den USA abwendet und auf außenpolitische Alleingänge setzt. Freilich gehen, wie die Entwicklungen zeigen, dafür die Bündnispartner verloren. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) hat seit ihrer Gründung 1991 keine integrative Kraft entfalten können. Die von Moskau angestrebte Schaffung einer neuen Union zwischen Russland, der Ukraine, Belarus und Kasachstan ist nach dem politischen Kurswechsel in Kiew unmöglich geworden. Eine Option bleibt nach Ansicht von Experten dagegen eine Orientierung der Russischen Föderation auf eine stärkere Kooperation mit China und Indien.
Russland wird selbstgenügsam
Russlands Nimbus als Ordnungsmacht, als Führungsnation im postsowjetischen Raum hat schwer gelitten, die Weltmachtrolle ist dahin und auch seine Fähigkeit, regional Einfluss zu nehmen, ist geschwunden - für viele in Moskau ein bitterer Befund. Hinzu kommt massive westliche Kritik an rechtsstaatlichen Defiziten und an der Menschenrechtspolitik - unter Kreml-nahen Experten wächst daher die Enttäuschung. Man fühlt sich marginalisiert.
Die Kluft zwischen uns und dem Westen wächst, stellte Alexej Puschkow, Politologe und Journalist, kürzlich auf einem Forum der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin fest. "Russland besinnt sich auf sich selbst. Es wird selbstgenügsam. Es bezieht sich nicht länger auf Europa oder Amerika. Weil - wenn man die deutsche Presse über Russland liest - das alles negativ ist. Und viele in Moskau sagen: Was immer wir auch tun, wir sind immer die bösen Buben - für Europa und für die Vereinigten Staaten. Deshalb werden wir unseren eigenen Kurs verfolgen, uns mehr wie China verhalten, wir werden unsere Wirtschaft aufbauen, wir werden uns nicht an irgendeinem Kalten Krieg beteiligen - aber wir hören auf, den Westen als Bezugspunkt zu sehen. Als eine Art von Autorität."
"GUS wurde zum Werkzeug Russlands"
Repräsentanten der Länder, die sich auf den Weg der Unabhängigkeit von Russland begeben haben, kritisieren unterdessen, dass Moskau versuche, auch weiterhin Einfluss auf die politische Entwicklung seiner früheren Satellitenstaaten zu nehmen und dabei bestrebt sei, die Nachbarn zu dominieren. Salome Samadaschwili vom Auswärtigen Parlamentsausschuss Georgiens bemängelte politischen Stillstand in Russland, Verwässerung der demokratischen Reformen und ein zunehmend rüdes Verhalten Moskaus gegenüber den unabhängigen Nachbarländern. Sie sprach darüber hinaus von einem völligen Versagen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. "Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen endlich zugeben, dass die GUS-Staaten es nicht geschafft haben, eine Rolle als Nachfolgeorganisation der früheren Sowjetunion zu spielen. Sie haben versagt dabei, den Mitgliedsländern Wohlstand zu schaffen, sie haben versagt dabei, Blutvergießen und Territorialkonflikte zu vermeiden. Und sie versagen heute noch. Die Gemeinschaft wurde zum Werkzeug Russlands, das sich seine Einfluss-Sphäre in der modernen Welt sichern will." Jedes Land entwickele sich nun anders, die GUS als gemeinsamer Rahmen passe nicht mehr in die Zeit.
Westlich, aber nicht europäisch?
Russische Eliten sprechen dagegen mit Blick auf den Westen immer häufiger von "Einkreisung". Man kritisiert eine zunehmende Einflussnahme der EU und Amerikas im einstigen Machtbereich Moskaus. Wieder und wieder ist das Argument zu hören, die Orange-Revolution in der Ukraine sei nur durch massive finanzielle Unterstützung aus den USA möglich gewesen. Argwöhnisch wird die neue Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union beobachtet. Dass Kiew und Tiflis das russische Modell der autoritären Führung, der "gelenkten Demokratie" verwarfen und sich dem viel attraktiveren Integrationskonzept der EU zuwandten, kann man in Moskau immer noch nicht richtig verstehen. Dmitrij Trenin von der Moskauer Carnegie-Stiftung: "Jedes andere Land im europäischen Teil der früheren Sowjetunion kann damit rechnen, dass es auf dem Weg in die europäische Integration unterstützt wird, wenn es erst einmal mit Demokratie und freier Marktwirtschaft begonnen hat. Das gilt nicht für Russland. Ich glaube, wir haben das bemerkt und wir glauben nun, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können, beim Transformationsprozess. Ich denke, in Zukunft könnte Russland zwar westlich sein - aber sicher nicht europäisch."
Westliche Experten empfehlen dagegen, Moskau weiter die europäische Option offen zu halten und dabei von zu hohen Forderungen Abstand zu nehmen. Sie plädieren für Pragmatismus. Es werde lange dauern, bis sich in Russland eine blühende Demokratie entwickelt habe - die Zeit bis dahin dürfe jedoch nicht ungenutzt verstreichen.
Cornelia Rabitz
DW-RADIO/Russisch, 24.3.2005, Fokus Ost-Südost