Russland greift Ukraine mit Drohne an - und trifft Rumänien
7. September 2023In Rumänien explodiert eine russische Drohne, die es nicht gab. Es klingt nach einem Stück von Eugen Ionescu, dem rumänisch-französischen Altmeister des absurden Theaters. Doch es ist aktuelle rumänische Wirklichkeit.
In der Nacht zum Montag (4.09.2023) bombardierte Russland den ukrainischen Donauhafen Ismajil zum wiederholten Mal mit Kamikaze-Drohnen. Eine der Drohnen explodierte auch am anderen - dem rumänischen - Ufer der Donau. Und damit auf NATO-Gebiet. In Videos, die in sozialen Medien, aber auch von offizieller ukrainischer Seite verbreitet wurden, war der Feuerball einer Detonation zu sehen. Doch rumänische Behörden bestritten den Vorfall vehement. Zwei Tage später - just während des Bukarester Gipfeltreffens der Drei-Meere-Initiative - folgte das Dementi des Dementis: "Drohnenteile" seien auf rumänisches Territorium "gefallen", lautet nun die Sprachwahl des Bukarester Verteidigungsministeriums.
Es ist das erste Mal seit Russlands Vollinvasion der Ukraine am 24.02.2022, dass eine russische Drohne bei einem Angriff auf ukrainisches Territorium unter Inkaufnahme dieses Risikos auf NATO-Territorium niedergeht. Denn die ukrainischen Donauhäfen, die Russland seit Wochen bombardiert, liegen nur wenige hundert Meter von der Grenze zu Rumänien. In Ismajil ist das rumänische Ufer rund 400 Meter entfernt, die Flussmitte stellt die Grenze dar.
Nicht auszuschließen ist, dass Russland den Angriff auf das rumänische Donau-Ufer sogar beabsichtigt hat - um die Reaktion Rumäniens und der NATO zu testen. So oder so - einen solchen Vorfall gab es bisher nicht. In Polen war im vergangenen Jahr eine russische Rakete in einem Wald niedergegangen, allerdings ohne Sprengstoff. Und die Rakete, die ebenfalls im vergangenen Jahr zwei Menschen in Polen tötete, war wohl eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehrrakete.
Diplomatischer Schlagabtausch zwischen Rumänien und der Ukraine
Was nun in Rumänien geschah, war absehbar: Russland bombardiert die drei Donauhäfen Reni, Ismajil und Kilija seit Ende Juli 2023 nahezu täglich. In rumänischen Medienberichten klagen Anwohner seit längerem, dass Drohnen oft sehr tief und über rumänisches Territorium anfliegen, Beschwerden aber von den Behörden nicht ernst genommen werden würden. Angesichts dessen wirken die Reaktionen des rumänischen Staats befremdlich. Nach den ersten Angriffen Ende Juli 2023 verurteilte Rumänien diese zwar scharf. Doch stärker militärisch gesichert, etwa mit Flugabwehrsystemen, wurde das rumänische Donau-Ufer offenbar bisher nicht.
Nachdem am Montag aus der Ukraine die ersten Berichte über den Drohneneinschlag auf rumänischem Territorium veröffentlicht wurden, wies Rumänien diese fast allergisch zurück. Staatspräsident Klaus Iohannis sagte, "es existiert kein Bruchstück, keine Drohne und keinerlei Teil irgendeiner Vorrichtung, die irgendwo in Rumänien angekommen ist". Die Angelegenheit entwickelte sich zu einem regelrechten diplomatischen Schlagabtausch mit Kiew. Unterschwellig entstand dabei der Eindruck, Rumänien würde der Ukraine vorwerfen, den Nachbarn in einen Krieg mit hineinziehen zu wollen.
Korridor für Frachtschiffe aus der Ukraine
Das ist umso erstaunlicher, als Rumänien sich bislang sehr solidarisch mit der Ukraine gezeigt und dabei auch Risiken nicht gescheut hat. So etwa dürfen Frachtschiffe aus der Region Odessa über einen küstennahen Korridor in rumänische Schwarzmeer-Hoheitsgewässer einfahren - und von dort aus weiter Richtung Bosporus. In den vergangenen Wochen haben vier Frachtschiffe diese Möglichkeit genutzt, obwohl Russland alle Schiffe, die aus ukrainischen Häfen kommen, zu "legitimen Angriffszielen" erklärt hatte.
Am Mittwoch (6.09.2023) jedoch ruderten das Bukarester Verteidigungsministerium und auch Staatspräsident Klaus Iohannis zurück. Nachdem das Verteidigungsministerium bestätigt hatte, dass Drohnenteile auf rumänischem Territorium gefunden worden seien, sagte Iohannis: "Wenn sich bestätigt, dass es sich um russische Drohnenteile handelt, stellt das eine schwere Verletzung der rumänischen Souveränität dar."
Ungereimtheiten über den Vorfall mit der Drohne
Vieles bleibt indessen noch offen. Einen detaillierten Fragenkatalog der DW zu dem Vorfall beantwortete das Bukarester Verteidigungsministerium nicht: Erkannte die rumänische Luftraumsicherung die explodierte Drohne und andere anfliegenden Drohnen oder nicht? Falls ja, warum wurden Drohnen über rumänischem Territorium von der Luftabwehr des Landes nicht abgeschossen? Und warum widersprach Bukarest den Informationen aus der Ukraine so vehement, ohne den Vorfall vorher eingehend geprüft zu haben?
In der rumänischen Öffentlichkeit herrscht wegen solcher Fragen Besorgnis und Entsetzen. Vor allem, weil immer mehr Ungereimtheiten ans Licht kommen. So etwa lancierten rumänische Militärermittler in Medien, die niedergegangene Drohne sei nicht mit Sprengstoff beladen und möglicherweise nur eine Spionagedrohne gewesen. Journalisten des TV-Senders Digi24 entdeckten jedoch am Donnerstag (7.09.2023) einen Einschlagskrater nahe des rumänischen Dorfes Plauru gegenüber dem ukrainischen Hafen Ismajil und fanden sogar mutmaßliche Drohnenreste. Die Einschlagsstelle war weder gesichert, noch abgesperrt.
"Widersprüchliches Herumgestammele"
Der Publizist Dan Tapalaga schrieb auf dem Portal G4media, der Umgang des rumänischen Staats mit dem Vorfall sei ein "Feuerwerk der Inkompetenz". Seine Kollegin Ioana Ene Dogioiu vom Portal Spotmedia nannte Rumänien gar einen "gescheiterten Staat".
Der Bukarester Politologe und Russland-Experte Armand Gosu sagt der DW, dass der rumänische Staat in diesem Fall einen großen Mangel an Professionalität gezeigt habe. "Das widersprüchliche Herumgestammele der Behörden macht sowohl diplomatisch als auch gegenüber der einheimischen Bevölkerung einen sehr schlechten Eindruck", so Gosu. "Es scheint, als wolle der Staat die Augen verschließen und es nicht so genau wissen." Die Frage sei nun, was noch alles passiere, bevor der rumänische Staat Maßnahmen ergreife, sagt Gosu. "Werden wir es erleben, dass bald Drohnen auf Großstädte wie Galati oder Tulcea niedergehen?"
Der Politologe fordert, Rumänien müsse Russland unmissverständlich klarmachen, dass ein Vorfall wie der vom Montag nicht geduldet werde - und auch entsprechend handeln, also beispielsweise eine wirksame Luftabwehr in der Region stationieren.
Im Augenblick sieht es allerdings eher danach aus, als wollten sowohl Rumänien als auch die NATO den Vorfall lieber herunterspielen. Am Donnerstag (7.09.2023) sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, man sehe keinerlei Anzeichen, dass Russland das Territorium Rumäniens absichtlich angegriffen habe.