"Russland ist ein strategischer Partner"
14. Juli 2006DW-WORLD.DE: Sie haben das Forum "The other Russia" besucht obwohl aus dem Kreml ein klares Signal kam, dass die Teilnahme der G8-Vertreter unerwünscht ist. Warum?
Andreas Schockenhoff: Ich glaube, wir müssen ein Zeichen setzen, dass wir die russische Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite unterstützen. Ich habe in Moskau auch Frau (Ella) Pamfilova getroffen, die Beauftragte des Präsidenten für die Zivilgesellschaft. Aber ich habe eben auch die Veranstaltung des "anderen Russland" besucht, wo unabhängig von der Administration Nicht-Regierungs-Organisationen sich selbst organisiert hatten. Ich glaube, das ist die richtige Ausgewogenheit.
Was sind Ihre Eindrücke von dieser Veranstaltung?
Auf der einen Seite lag eine Schwierigkeit darin, dass die Teilnehmer sehr bunt waren. Es gab viele Nicht-Regierungs-Organisationen, die bekannt sind, die seit Jahren arbeiten, die sehr gute Arbeit machen. Aber leider haben auch radikale Parteien teilgenommen von rechts und links und haben sich diese Begegnung zunutze gemacht. Insofern war es ein sehr buntes Bild der russischen Gesellschaft. Aber dass dieses Bild gezeigt werden kann in Russland und dass es öffentlich auftreten kann, das zeigt doch, dass es eine gewisse Entwicklung gibt. Außerdem hat Präsident Putin vor einer Woche bei dem von Frau Pamfilova organisierten Treffen mit Nicht-Regierungs-Organisationen zugesagt, beispielsweise das NGO-Gesetz zu korrigieren, wenn es in der Anwendung Nicht-Regierungs-Organisationen behindert. Es gibt einige Zeichen der Hoffnung, dass der Weg der Demokratisierung in Russland bei allen Rückschlägen weitergeführt wird.
Wird dieses Ereignis in irgendeiner Weise den Ton und Inhalt der Diskussion während des G8-Gipfels beeinflussen?
Ich glaube nicht. Putin wird das Thema Nicht-Regierungs-Organisation / Zivilgesellschaft beim G8-Gipfel zur Sprache bringen. Es soll auch in das Schlussdokument des G8-Gipfes darüber ein Passus eingefügt werden und es soll vereinbart werden, dass die Begegnung mit der Zivilgesellschaft auch im nächsten Jahr unter deutscher Präsidentschaft fortgeführt wird.
Was sind die wichtigsten Themen für Deutschland auf dem Gipfel? Hat sich die deutsche Delegation konkrete Ziele und Aufgaben für diesen Gipfel gesetzt?
Ich glaube, dass natürlich die aktuellen Krisen der Welt - Iran, aber jetzt ganz besonders auch die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten uns zu großer Sorge Anlass geben müssen. Von den strategischen Themen sehe ich in erster Linie die Frage einer europäischen Energie-Charta und unter den G8 auch die Vereinbarung von bestimmten Verhaltensweisen im Umgang mit Energie. Es geht um die Energie, um die Liefersicherheit. Es geht aber auch um Transportwege - wie können wir sichere, stabile politische Verhältnisse befördern in den Ländern, die als Transitländer für Energie sehr wichtig sind. Es geht aber auch darum, dass wir bei einem wachsenden Energiehunger, dass wir nicht, um an Energie zu kommen, bestimmte Spielregeln und bestimmte Verhaltensregeln für die Energielieferländer außer Acht lassen. Ich glaube, das Thema Energie ist heute sehr vielfältig und es ist eines der Top-Themen der globalen Zusammenarbeit.
Bis jetzt hat Russland die Europäische Energiecharta immer noch nicht ratifiziert. Hat Europa irgendwelche neue Argumente, um Russland von diesem Schritt zu überzeugen?
Die Frage der Ratifizierung ist eine rechtliche Frage. Ich glaube, dass wir politisch feststellen müssen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Russland profitiert natürlich im Moment von der enormen Nachfrage nach Energie. Russland hat die zweitgrößten Öl- und die größten Gasvorräte der Welt. Und Russland kann auf Dauer seine Rolle als Weltmacht nicht nur auf Öl und Gas aufbauen. Deswegen hat auch Russland ein Interesse daran, in Partnerschaft mit Europa, aber auch mit den Vereinigten Staaten seine Wirtschaft, aber auch seine Gesellschaft zu modernisieren.
Was wird die EU machen, wenn Russland seine Drohung, sich auf China und andere asiatischen Energiemärkte umzuorientieren, wahr macht?
Dass Russland natürlich sich auch asiatische Energiemärkte bedient, etwa China, das ist selbstverständlich. Russland ist nicht allein nach Westen orientiert. Aber als Modernisierungspartner für Russland kommt China nicht in Frage. Deswegen sind Europa und Russland aufeinander angewiesen. Ich glaube sogar, dass wir sogar eine gemeinsame Identität haben. Und ich glaube, wir sollten auch diese strategischen Fragen nutzen, um eine gemeinsame Wertepartnerschaft zu entwickeln.
Im Vorfeld des Gipfels wird die Kritik immer lauter, dass Russland G-8 unfähig ist – wirtschaftlich sowie politisch. Sie soll stattdessen einen Beobachterstatus bekommen. Ihre Meinung dazu?
Das glaube ich nicht. Wir können heute keine der wirklich globalen Fragen, die die westlichen Industrienationen betreffen, ohne Russland lösen. Das betrifft sowohl die aktuellen Krisen der Weltpolitik - ich nenne nochmals den Iran, die Nuklearisierung des Iran, ich nenne den Nahen Osten, ich nenne die Gefahr auf der koreanischen Halbinsel. Alle diese Fragen können wir ohne eine ganz enge Abstimmung mit Russland überhaupt nicht lösen. Aber auch die längerfristigen strategischen Fragen - ein globales Ressourcenmanagement, globale ökologische Fragen und viele andere Themen können wir ohne Russland nicht lösen. Deswegen ist Russland ein strategischer Partner. Strategisch heißt, dass wir nicht nur in Einzelfragen mit Russland zusammenarbeiten, sondern dass wir in allen wichtigen globalen Fragen mit Russland zusammenarbeiten müssen. Und ich glaube, wir sollten das auf einer gemeinsamen Wertebasis tun.
Bei ihrem ersten Staatsbesuch hat Angela Merkel deutlich gemacht, dass sie bereit ist, im Dialog mit Putin auch "schwierige" Themen anzusprechen. Wird sie diese Linie während ihres Besuches in Petersburg fortsetzen?
Natürlich. Wie wollen verständlich machen, dass uns die innenrussischen Entwicklungen auch wichtig sind. Dass für uns Russland nicht einheitlich ist, sondern dass Russland für uns sehr vielfältig ist. Und da hat Frau Merkel gegenüber ihrem Vorgänger doch eine deutliche Veränderung im Stil bewirkt und ich glaube, dass sie deshalb in Russland mehr Autorität genießt und dass sie trotzdem zu Präsident Putin eine sehr vertrauensvolle Gesprächsgrundlage gefunden hat.
Frau Merkel hat sich vor dem Gipfel mit George Bush getroffen. Gibt es denn prinzipielle Unterschiede in der Russland-Politik Deutschlands und der USA?
Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass auch die amerikanische Außenpolitik erkannt hat, dass Russland ein wesentlicher Partner ist, ohne den wir die schwierigen Interessensvertretungen in schwierigen Regionen unserer Welt nicht hinbekommen. Deshalb wird es, glaube ich, darum gehen, wie Amerika und Deutschland sich ergänzen können in dem Versuch, Russland als verantwortungsvollen Partner einzubinden.