Russland: Umstrittenes NGO-Gesetz in Kraft getreten
20. April 2006Das neue Gesetz über Nichtregierungsorganisationen hatte sowohl bei russischen Menschenrechtlern als auch bei internationalen Menschenrechtsorganisationen Befürchtungen und Kritik hervorgerufen. Vertreter verschiedener russischer Behörden bemühen sich indes, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Rechte von NGOs in Russland durch das Gesetz nicht eingeschränkt werden. Trotzdem meinen Menschenrechtler, dass das Gesetz eine Gefahr für die Bürgergesellschaft darstellt.
"Gesetz wird längst angewandt"
Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Aleksejewa, ist der Ansicht, das Gesetz könnte sich auf die Tätigkeit gesellschaftlicher Organisationen negativ auswirken, die Kritik an der Staatsmacht üben. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte sie, das Gesetz sei längst angewendet worden, noch bevor es in Kraft getreten sei: "Das ist immer so mit den Gesetzen, die unseren Bürokraten gefallen. Sie wenden sie gerne an. Deswegen wurden praktisch seit Januar keine neuen NGOs mehr zugelassen, weil die Bürokraten es vorziehen, sie nach den neuen schwierigeren Regeln zu registrieren. Aber man hätte innerhalb der drei Monate vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Registrierungen bewältigen können."
Ruhe bis zum G8-Gipfel?
In manchen Regionen werde das Gesetz sofort Wirkung zeigen, meint Aleksejewa. Man habe seit langem auf diesen Tag gewartet und man werde gleich mit der Umsetzung des Gesetzes beginnen. Zur Lage in der russischen Hauptstadt sagte die Menschenrechtlerin: "Was die bekannten Organisationen in Moskau betrifft, beispielsweise die Moskauer Helsinki-Gruppe oder Memorial, so denke ich, dass es vielleicht irgendwelche Aktionen geben wird, aber sie werden nicht sofort sehr heftig sein. Möglicherweise wird es dazu noch nicht kommen, bis der G8-Gipfel stattgefunden hat, also bis Mitte Juli." Aleksejewa vermutet, dass im August, in den Sommerferien, die Behörden möglicherweise beginnen werden, gegen NGOs vorzugehen.
Klage gegen Soldatenmütter
Unterdessen meldet das Komitee der Soldatenmütter Russlands Probleme mit den Behörden. Die Leiterin des Komitees, Walentina Melnikowa, sagte der Deutschen Welle: "Am 19. April haben wir vom Basman-Gericht eine Vorladung für den 18. Mai erhalten, auf Grundlage einer Klage des Russischen Föderalen Registrierungs-Dienstes beim Justizministerium, der die Beendigung der Tätigkeit des Komitees der Soldatenmütter Russlands als juristische Person fordert. Leider haben wir weder vom Registrierungs-Dienst noch vom Gericht eine Kopie der Klage zugesandt bekommen." Über die möglichen Vorwürfe sagte Melnikowa: "Formalitäten kann es viele geben. Unsere Gesetze über gesellschaftliche Organisationen sind derart, dass man immer einen Verstoß finden kann. Aber ich denke, dass wir unter die allgemeine Walze gekommen sind, die sich im vergangen Jahr in Bewegung gesetzt hat und gesellschaftliche Vereinigungen vernichtet."
Rückzug der Behörden?
Der Registrierungs-Dienst teilte inzwischen mit, die vor Gericht beantragte Schließung des Komitees der Soldatenmütter werde zurückgezogen, da der Tätigkeitsbericht der Organisation inzwischen eingegangen sei. Dazu sagte Melnikowa: "Sie haben aber bereits eine Klage beim Gericht eingereicht, deswegen können all jene Worte eines hochrangigen Beamten, der die Dokumente dem Gericht vorgelegt hat, wohl nur noch vor Gericht zurückgenommen werden." Melnikowa unterstrich, wenn es dennoch zu einer Gerichtsverhandlung komme, dann werde ihre Organisation dem Gericht nachweisen, dass sie nicht gegen das Gesetz verstoßen habe. Melnikowa machte ferner darauf aufmerksam, dass den Soldatenmüttern ein positiver Bericht der russischen Generalstaatsanwaltschaft vorliege, die die Tätigkeit des Komitees in den Jahren 2001 bis 2005 geprüft habe. Jenen Bericht habe das Komitee der Soldatenmütter dem Justizministerium vorgelegt, betonte Melnikowa.
DW-RADIO/Russisch, 19.4.2006, Fokus Ost-Südost