Keine Freunde mehr?
25. November 2015Während der muskulöse russische Bär Terroristen des "Islamischen Staats" zertrampelt, schleicht sich von hinten Recep Erdogan an ihn heran. Der türkische Präsident hält ein Messer in der Hand und trägt einen Sprengstoffgürtel, als wäre er selbst ein Terrorist. Die Karikatur in der staatlichen russischen Nachrichtenagentur "Russland heute" beschreibt den aktuellen russisch-türkischen Konflikt aus der Sicht des Präsidenten Wladimir Putin. Der Kremlchef reagierte auf den Abschuss des russischen Kampfbombers durch die türkische Luftwaffe am Dienstag mit harscher Kritik. Der Vorfall an der türkisch-syrischen Grenze sei ein "Stoß in den Rücken", der Konsequenzen haben werde, sagte Putin. Er beschuldigte das NATO-Mitglied Türkei, ein Komplize des IS zu sein.
Keine Touristen, kein Geflügelfleisch
Wenige Stunden nach Putins emotionalem Auftritt vor Fernsehkameras ließ Russland den harten Tönen auch Taten folgen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte seinen für Mittwoch geplanten Besuch in Ankara ab. Sein Ministerium warnte russische Touristen vor Reisen in die Türkei. Dabei war die Türkei für viele Russen einer der letzten Orte für günstigen Urlaub nach dem Terroranschlag auf das zivile russische Flugzeug in Ägypten. Mehr als zwei Millionen erholen sich in der Türkei jedes Jahr.
Es gibt auch weitere wirtschaftliche Konsequenzen. Eine russische Lebensmittelaufsichtsbehörde stoppte am Mittwoch im Gebiet Kaliningrad eine Lieferung von türkischem Geflügel - angeblich wegen falscher Markierung. Ein weiterer Lieferstopp betrifft ab Dezember einen großen Lieferanten. Das türkische Geflügelfleisch enthalte Krankheitserreger, heißt es aus Moskau.
Türkei warnte vor Luftraumverletzungen
Der aktuelle Konflikt markiert einen neuen Tiefpunkt in den türkisch-russischen Beziehungen. "Es gibt eine historische Krise", sagt der türkische Außenpolitikexperte Hasan Ali Karasar. "Die Türkei muss schnell nachdenken, wie sie diese Krise lösen will".
Vor allem der Krieg in Syrien sorgt seit Jahren für Irritationen. Die Türkei strebt einen Regierungswechsel in Damaskus an und unterstützt Oppositionelle, die gegen den Präsidenten Baschar al-Assad kämpfen. Russland dagegen ergänzt seine politische Unterstützung für Assad durch militärischen Einsatz.
In den vergangenen Wochen protestierte die Türkei mehrmals gegen Luftraumverletzungen durch russische Kampfflugzeuge. Erdogan warnte Moskau Anfang Oktober ungewöhnlich scharf vor solchen Vorfällen. Medienberichten zufolge sagte der türkische Präsident, sein Land könne Gas auch anderswo kaufen. Auch das geplante erste türkische Atomkraftwerk könne von einem anderen Partner als Russland gebaut werden.
Gasprojekt als Moskaus wunder Punkt
Mit Gas erwähnte Erdogan das derzeit für Russland wohl wichtigste Projekt in der Türkei und damit einen wunden Punkt. Vor rund einem Jahr beendete Russland überraschend den Bau der Pipeline South Stream, die russisches Gas über das Schwarze Meer unter Umgehung des Transitlands Ukraine in die Europäische Union liefern sollte. Gleichzeitig verkündete Putin bei seinem Besuch in der Türkei im Dezember 2014 ein neues Projekt "Turkish Stream". Der russische Gazprom-Konzern will über die Türkei eine Pipeline bis an die EU-Grenze in Griechenland bauen.
Moskau steht dabei unter Zeitdruck, denn die Infrastruktur auf dem russischen Territorium ist bereits gebaut. Doch das Projekt kommt nicht voran. Als Grund nannte Ankara im Sommer Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung. Ein Vertrag ist bis heute nicht unterzeichnet. Gazprom hat seine ursprünglichen Pläne für einen "Gashub" in der Türkei inzwischen nach unten korrigiert. Man werde zwei statt vier Stränge bauen. Doch nach dem Abschuss des russischen Kampfbombers stellen Beobachter das Gesamtprojekt in Frage.
Dabei ist die Türkei nach Deutschland der zweitwichtigste Abnehmer für russisches Gas. 2014 lieferte Gazprom nach russischen Angaben mehr als 27 Milliarden Kubikmeter Gas in die Türkei.
Schatten der russischen Krim-Annexion
Die Abkühlung in den sonst partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Moskau und Ankara hat jedoch nicht nur mit Syrien zu tun. Auch die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Februar und März 2014 sorgt für Spannungen. Die dort lebende Minderheit der Krim-Tataren bat die Türkei um Hilfe. Ankara stellte sich diplomatisch auf die Seite der Ukraine. Der türkische Präsident habe mit seinem russischen Kollegen Putin mehrmals über die Krimtataren gesprochen, hieß es aus Ankara. Doch einen offenen Streit gab es zunächst nicht.
Zu einem Schlagabtausch kam es im April, als der russische Präsident von einem "Völkermord" an den Armeniern im Jahr 1915 im damaligen Osmanischen Reich sprach. Die Türkei bestreitet einen Völkermord. Erdogan verwies daraufhin auf das international kritisierte russische Vorgehen auf der Krim. Der türkische Präsident lehnte auch die Einladung aus Moskau zu der Feier im Mai anlässlich des 70. Jahrestags der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa ab.
Moskaus Militäreinsatz in Syrien von Türkei abhängig
An einer langen Eiszeit mit der Türkei dürfte Moskau aber kein Interesse haben. Beobachter in Moskau nennen die türkische Kontrolle über den Bosporus als den wichtigsten Grund dafür. Die Passage zwischen dem Schwarzen und dem Mittelmeer ist für Moskau strategisch wichtig. Dadurch versorgt Russland seine Militäroperation in Syrien mit Nachschub. Bisher durften russische Kriegsschiffe ohne Probleme den Bosporus auf dem Weg zum russischen Stützpunkt im syrischen Hafen Tartus passieren. Sollte das nicht mehr möglich sein, wäre das ein schwerer Schlag für Russland. Seine Schwarzmeerflotte wäre eingesperrt, warnen Experten.
Trotz aller Differenzen in der Syrien- oder Krim-Frage bemühten sich Russland und die Türkei bisher um Dialog. So reiste Erdogan Ende September nach Moskau, um bei der Eröffnung einer Moschee dabei zu sein. Für Mitte Dezember sind in Sankt Petersburg russisch-türkische Regierungskonsultationen geplant. Ob sie aber tatsächlich stattfinden oder doch eher abgesagt werden, ist zurzeit unklar.