Die Folgen des russischen Embargos für die moldauische Wirtschaft
26. Oktober 2014Der Morgennebel hängt noch über Costeşti, einem kleinen Ort in der Nähe der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Grigorie Bivol ist unterwegs zu den Feldern, wo die Trauben in endlosen Reihen reifen. Doch wie viele Winzer bleibt auch er auf seinem Wein sitzen. Vor einem Jahr hatte der russische Konsumentenschutz etwa die Hälfte der Weine für verunreinigt erklärt und den Import aus der Republik Moldau gestoppt. Seitdem weiß Grigori nicht mehr, wer ihm seine Produkte abkauft. "Gott hat uns dieses Jahr eine sehr gute Ernte geschenkt. In den vergangen Jahren haben wir viel Geld in neue Plantagen investiert. Für alle in unserem Dorf ist der Wein jetzt die einzige Einnahmequelle. Das Embargo Russlands trifft uns Bauern sehr hart", sagt Grigorie.
Schon der Herbst 2013 war sehr schmerzhaft für die Weinerzeuger in der Republik Moldau. Während die Menschen auf den Dörfern noch mit der Traubenlese beschäftigt waren und den Verkauf der neuen Weinproduktion planten, beschlossen die russischen Behörden den moldauischen Wein zu verbieten. Der Leiter der Weinkellerei "Purcari & Bostavan Wineries", Victor Bostan, erinnert sich an diese traurige Zeit. Wegen des Embargos hat sein Weinbetrieb 14 Millionen Euro Verlust einstecken müssen. "Vorher haben wir etwa 600.000 Flaschen pro Jahr nach Russland exportiert. Jetzt haben wir einen der größten Märkte verloren. Ich glaube, dass es eine politische Entscheidung war. Moskau wollte uns wegen unserer europäischen Bestrebungen bestrafen, und zwar kurz vor Paraphierung des Assoziierungsabkommens in Vilnius", so Bostan gegenüber der Deutschen Welle. Bei ihrem Gipfel in der litauischen Hauptstadt im November 2013 hatte die EU die Verhandlungen über die Assoziierungsverträge mit der Republik Moldau und Georgien abgeschlossen. Die offizielle Unterzeichnung des Abkommens folgte dann am 27. Juni 2014 in Brüssel.
Die Effekte des Embargos
Wegen der übermäßigen Abhängigkeit vom russischen Markt sahen sich die moldauischen Weinproduzenten plötzlich ohne Alternativen. Andere Absatzmärkte waren nicht genügend erschlossen und für die Überwindung der Krise fehlten Pläne einer langfristigen ökonomischen Entwicklung. Nach Angaben eines Experten des unabhängigen Analysezentrums "Expert Grup" aus Chisinau, Alexandru Fala, sank der Export von Wein und Most in der ersten Hälfte des Jahres 2014 um über 30 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr. "Am meisten hat der Export in die Russische Föderation gelitten. Insgesamt wurde in dieser Periode Wein im Wert von 40 Millionen Euro exportiert, während im Januar bis Juni 2013 der Umfang des Exports circa 64 Millionen Euro betrug", sagte Fala.
Suche nach neuen Märkten
Trotz aller Schwierigkeiten haben die Winzer versucht, andere Absatzmärkte zu finden. Wie zum Beispiel die staatliche Kellerei "Cricova", die ihre Weine in einem der größten Weinkeller der Welt lagert: in einer rund 80 Kilometer langen unterirdische Galerie. Sorin Maslo, Marketingmanager der Kellerei, ist optimistisch und glaubt, den richtigen Weg gefunden zu haben, um die Verluste zu minimieren. "Es wird sicherlich Zeit brauchen, bis wir neue Märkte erschließen. Wir haben den russischen Markt verloren, aber der Umfang des Exports nach Polen und die USA ist gewachsen. Wir wollen diese Tendenz beibehalten, wir möchten uns auf die Produktion von Qualitätsweinen konzentrieren. Dies würde uns ermöglichen, unsere Weine in neuen Märkten zu verkaufen, wie Deutschland oder China", sagte Maslo im DW-Gespräch.
Ähnlich läuft es bei "Purcari & Bostavan Wineries". Victor Bostan ist zufrieden, weil moldauische Verbraucher begonnen haben, mehr lokale Weine zu kaufen. Die Verkäufe auf dem Binnenmarkt seien um 25 Prozente gestiegen. "Wir sind auch froh, dass wir den Export nach Rumänien um die Hälfte steigern konnten. Wir hoffen sehr, in anderen großen Märkten in der EU und den USA stärker präsent zu sein. Das würde die Situation retten, weil unsere Weine gut sind. Sie werden wöchentlich von einem Experten aus Italien getestet", sagte Victor Bostan.
EU soll Moldau helfen
Daten, die von den Vertretern der Weinfirmen kommen, sind optimistisch. Aber die Situation bleibt kompliziert. Um seine Macht zu unterstreichen, hat Moskau Vertretern der Weinfabriken aus dem autonomen moldauischen Gebiet Gagausien die Möglichkeit geboten, ihren Wein direkt nach Russland zu exportieren. "Die Sanktionen Russlands gegen Chisinau sind eine politische Strafe, weil sich die Republik Moldau der EU annähert. Leider verwendet Russland ökonomische Hebel, um politische Ziele zu verfolgen. Die Republik Moldau sollte versuchen, die Präsenz auf den EU-Märkten zu festigen. In Zukunft sind weitere Sanktionen seitens Moskau möglich", so der Experte Alexandru Fala.
Um die verzweifelten Weinbauern zu unterstützen, hat die EU ihre Märkte für moldauischen Wein liberalisiert. Peter Beyer, CDU-Bundestagsabgeordneter, sieht Deutschland in der Pflicht, sich für einen Notfallfonds auf EU-Ebene einzusetzen, mit dem die Republik Moldau im Krisenfall wirtschaftlicher Sanktionen unterstützt werden könnte. "Der Handelsboykott Russlands kann als Strafe gewertet werden für die Entscheidung der Republik Moldau, sich an die EU anzunähern. Die schwach entwickelte Wirtschaft wird dadurch schwer getroffen. Deshalb muss für die EU klar sein, dass sie an der Seite der Republik Moldau steht, falls von Russland weitere wirtschaftliche Sanktionen auferlegt werden", so Beyer im DW-Gespräch.
Sanktionen werden erweitert
Und Russland hat weitere Sanktionen beschlossen. Im Sommer wurde der Import von Obst und Gemüse gestoppt. "Moldau war die Obstrepublik für die ganze ehemalige Sowjetunion. Wir könnten insgesamt durch das Embargo bis zu 100 Millionen Euro verlieren", so Iurie Fala, Geschäftsführer des moldauischen Verbands der obstverarbeitenden Industrie, im Interview mit der DW. Infolge eines früheren russischen Wein-Embargos von 2006 hatten die Verluste damals für die Republik Moldau, einem der ärmsten Länder Europas, über 140 Millionen Euro betragen.
Jetzt werden die Sanktionen ausgeweitet. Ab Montag (27.10.2014) gilt in der Russischen Föderation ein Einfuhrverbot für Fleisch und Fleischprodukte aus der Republik Moldau. Laut einer aktuellen Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung könnten die Verluste, die der moldauischen Wirtschaft durch die russischen Sanktionen entstehen, die 50-Millionen-Euro-Grenze überschreiten und somit ein Prozent des Brutto-Inlandsprodukts ausmachen.