Belgiens Energiewende bekommt Rückenwind
15. November 2017Belgiens Atomkraftwerke aus den 1970er Jahren sollten eigentlich gar nicht mehr qualmen. Die Reaktoren hätten bereits vor zwei Jahren vom Netz genommen werden sollen. Nach über 40 Jahren ist ihre maximale Lebensdauer überschritten. Doch die belgische Regierung entschied, die Reaktoren bis 2025 weiterlaufen zu lassen. Und das obwohl sie bereits zahlreiche Risse aufweisen und als Sicherheitsrisiko gelten. In der deutschen Grenzstadt Aachen wurden für den Fall eines Atomunglücks Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt. Weiterhin führt aber kein Weg an den Atommeilern vorbei: Sie erzeugen rund die Hälfte des belgischen Stroms.
Atomausstieg in Gefahr
"Wir haben schon viel Zeit verloren", sagt Jan Vande Putte von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Belgiens Politiker wären "zynisch" vorgegangen, so der Aktivist. Mit Biomassekraftwerken hätte Belgien seine Energiebilanz verschönern wollen. Auch um die von der EU vorgegebenen "2020-Energieziele" zu erreichen. Demnach sollten bis zum Jahr 2020 zwanzig Prozent des in Belgien produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Aktuell sind etwa zwölf Prozent "grün".
Doch Biomasse ist für Umweltaktivisten wie Vande Putte keine Lösung. Für die Produktion der Holzpellets würden oft Wälder gerodet. Für Vande Putte gibt es daher nur zwei Alternativen zu den schadhaften Atommeilern: Sonnen- und Windenergie. Aber Belgiens Regierung tue nicht genug um die Energiewende voranzutreiben, klagt der Aktivist. Vor allem beim Ausbau der Windenergie fehle es an Beständigkeit.
Im Juni 2016 habe die belgische Regierung Zusagen für drei neue Windparks in der Nordsee erteilt, nur um wenige Wochen später einen Rückzieher zu machen, so Annemie Vermeylen von der "Belgian Offshore Plattform", der Interessensvertretung belgischer Windpark-Betreiber. In den Niederlanden wurde zeitgleich ein Windpark-Projekt mit deutlich geringeren staatlichen Subventionen beschlossen. Belgien wollte nun auch weniger zahlen. Der Staatssekretär für die Nordsee Philippe De Backer drohte damit, die bereits vergebenen Baugenehmigungen wieder zu entziehen.
Windparks in der Nordsee als grüne Hoffnung
"Zum Glück ist es dazu nicht gekommen", sagt Vermeylen erleichtert. "Das hätte uns nochmal drei bis fünf Jahre gekostet." Stattdessen konnte man sich auf geringere Subventionen einigen. Mit eineinhalb Jahren Verzögerung soll der Bau der drei Windparks nun bald beginnen. "Dank dieser neuen Parks werden dann zehn Prozent des belgischen Stroms durch Offshore-Windkraft erzeugt", rechnet Vermeylen vor.
"Wir haben es endlich geschafft, Regionen und Bund auf eine Linie zu bekommen", sagt Nordsee-Staatssekretär De Backer. Zusammen mit Belgiens Umweltministerin arbeite er jetzt an einer Energiestrategie für die kommenden Jahre. "Die Offshore-Windkraft ist für uns dabei sehr interessant, vor allem jetzt, wo sie den Staat weniger kostet", so De Backer. "Klar können wir nicht alleine die AKWs ersetzten", sagt Lobbyistin Annemie Vermeylen. Aber Windenergie könne einen wichtigen Beitrag leisten.
"Weitere Parks sind essenziell, wenn die alten Reaktoren 2025 tatsächlich vom Netz gehen sollen", so Vermeylen. Im Idealfall solle die Offshore-Windproduktion gleich auf zwanzig Prozent verdoppelt werden. Nord-Staatssekretär De Backer wiegelt ab: Auch die Interessen von Fischern, Hafenbetreibern oder Umweltschützern müssten beachtet werden.
Kein Platz für grüne Energie?
Viel Platz gibt es in den belgischen Gewässern allerdings nicht. Die Küste ist gerade mal 60 Kilometer lang und beherbergt zwei Container- und Fährhäfen mit etlichen Schifffahrtsrouten. Zusätzlich liegen vor Belgien zahlreiche Sandabbauzonen, etwa ein Drittel der Küste ist Naturschutzgebiet.
"Was wir bislang von De Backer gehört haben, können wir nicht ernstnehmen", so Umweltschützer Jan Vande Putte von Greenpeace. Wenn er den Atomausstieg ernst nehme, müsse De Backer viel mehr Platz zur Verfügung stellen, als er bislang in den Verhandlungen andeute, so der Aktivist. Ginge es nach Windparkbetreiberin Vermeylen, dann gäbe es gar kein Platzproblem: "Naturschutz und Windenergie können ohne Probleme vereinbart werden", so die Interessensvertreterin. Sie will weitere Windräder in der Naturschutzzone aufstellen lassen.
Wo Windräder stehen, könnten keine Boote fahren, daher sei die Biodiversität rund um Windparks deutlich besser, so Vermeylen. Doch Staatssekretär De Backer zeigt sich zurückhaltend. Er wolle den Vorschlag zuerst einmal prüfen lassen. Nächstes Jahr wolle er entscheiden, ob und wo vor Belgiens Küste weitere Windparks gebaut werden können. Den Zeitplan, bis 2025 die alten Reaktoren vom Netz zu nehmen, sieht der Staatssekretär trotz der bisherigen Verzögerungen nicht in Gefahr. Doch für Lobbyistin Vermeylen und Aktivist Vande Putte steht fest: Die Entscheidung für den Ausbau der Offshore-Windenergie muss schnell fallen, sonst stehe die Energiewende und die Abschaltung der gefährlichen Reaktoren auf dem Spiel.