Kritische Theorie
7. Dezember 2009Als 'Frankfurter Schule' wird eine Gruppe von Soziologen und Intellektuellen bezeichnet, die vor allem am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main gearbeitet haben. Zu ihren berühmtesten Vertretern zählen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Das 1923 gegründete Institut wurde von den Nationalsozialisten geschlossen, die Wissenschaftler flüchteten ins Ausland. Ein Teil von ihnen kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück und baute die Einrichtung wieder auf. Sie wurde zu einer wichtigen Ideenschmiede der Bundesrepublik und zu einer Art Prüfungsinstitution für die demokratische Entwicklung Deutschlands.
Verbunden im Exil
Die Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt richtet ihren Blick vor allem auf die Jahre des Wiederaufbaus und die Situation der zurückgekehrten Wissenschaftler. Damit die Darstellung nicht zu einem langweiligen Buch an der Wand wird, haben sich die Kuratoren auf die Menschen konzentriert, die Protagonisten des Instituts. Die hatten im Exil ein komplexes Netzwerk errichtet und die Sozialforschung, vor allem in den USA, weiterentwickelt. Das wesentliche Mittel der Verständigung zur damaligen Zeit waren Briefe.
Der Austausch war ebenso privat wie wissenschaftlich geprägt. Man unterhielt sich - über Hunderte und Tausende von Kilometern hinweg - über Kinobesuche ebenso wie über die Erkenntnisse der Sozialforschung. Zu diesem Kreis gehörten keineswegs nur Sozialforscher, sondern unter anderem auch der Regisseur Wilhelm Dieterle, einer der Nachbarn von Adorno in dessen kalifornischem Exil. Außerdem besaß Dieterle einen Platz im Kuratorium des Frankfurter Forschungsinstitutes.
Das Unheil früh erkannt
Die Frage nach dem "Warum" dieser Ausstellung gerade im Jüdischen Museum Frankfurts erklärt sich leicht. Fast alle Forscher, die in den 1930er Jahren fliehen mussten, waren jüdische Emigranten. Schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Wissenschaftler des Frankfurter Instituts bedeutende Untersuchungen unternommen. Auch das wird in der Ausstellung präsentiert, im Originalton des Soziologen und Ökonomen Friedrich Pollock, der 1963 mit der Absicht des Aufklärers im Deutschlandfunk berichtete:
"Angeregt von der amerikanischen Sozialforschung begann das Institut 1931 eine großangelegte Untersuchung über die Stellung der deutschen Arbeiter und Angestellten zur Weimarer Republik, zum Sozialismus, ja zum Leben überhaupt. Die ersten Ergebnisse zeigten mit erschreckender Deutlichkeit, wie wenig geistige Widerstandskraft die Arbeiterbewegung dem heraufziehenden totalitären Gewaltregime entgegenzusetzen hatte. Die Untersuchung konnte nie beendet werden, denn kurz nach der Machtergreifung der Nazis wurde das Institut wegen staatsfeindlicher Tätigkeit geschlossen, seine Mitarbeiter ihrer Tätigkeit enthoben und das einzigartige Archiv, das auch unzählige Dokumente zur Geschichte des Nationalsozialismus enthielt, beschlagnahmt."
Die Haltung der Deutschen nach 1945
Allgemein bekannt wurden die Mitglieder der Frankfurter Schule, insbesondere Theodor W. Adorno, als Vordenker der Studentenrevolte von 1968. Die Ausstellung in Frankfurt spart das bewusst aus und richtet den Blick auf die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, in der bedeutende Arbeiten entstanden sind: Die 1951 gestartete "Gruppenstudie" zielte darauf, eine Art Psychogramm der Deutschen zu erstellen. 1800 Versuchspersonen unterhielten sich in Gruppen über den fingierten Brief eines amerikanischen Offiziers, der seine Einschätzung der Deutschen beschrieb. Darüber sollten sich die Versuchspersonen unterhalten. Aus den Antworten analysierten die Forscher Tendenzen zu Antisemitismus und Autoritarismus.
Das Ergebnis war ernüchternd, Hitler galt im Blick der meisten immer noch als einer der größten Deutschen nach Otto von Bismarck. Die Studie, brisant genug für eine große Diskussion auf großer öffentlicher Ebene, wurde erst 1955 veröffentlicht und auch dann nur wenig wahrgenommen. Nach Meinung von Kurator Erik Riedel hatte man sich bemüht, den Inhalt abzumildern. Denn inzwischen war man eindeutig in der Wirtschaftswunderzeit angekommen, "und da war die Vergangenheitsbewältigung schon kein wirkliches Thema mehr in Deutschland."
Soziologen als Medienstars
Auch wenn die Gruppenstudie wenig Aufsehen erregte, die Forscher wurden schnell angesehene Persönlichkeiten. Institutsleiter Max Horkheimer wurde zuerst Dekan der Philosophischen Fakultät, 1951 dann Rektor der Universität. 1960 wurde er Ehrenbürger der Stadt Frankfurt. Horkheimer wie Adorno forschten nicht nur im stillen Kämmerchen. Sie gingen in die Öffentlichkeit und besaßen eine große Medienpräsenz. Beide äußerten sich zu vielfältigen Fragen der Gesellschaft, Adorno unter anderem auch als Musiktheoretiker, als der er die Kommerzialisierung von Musik und Kultur heftig kritisierte. Außerdem vollzog sich mit ihnen ein Wandel in der Totalitarismusforschung, der sich schon während der Nazi-Herrschaft angedeutet hatte.
Antisemitismus ist mehr als ein Detail
Lange Zeit waren viele Forscher, Historiker und Psychologen, davon ausgegangen, dass der Antisemitismus nur ein Detail im Verständnis des Faschismus ist. Durch die Wissenschaftler der Frankfurter Schule rückte die Judenfeindlichkeit ins Zentrum der Analyse. Das war auch innerhalb der Soziologenschaft lange Zeit umstritten.
Nur wenige der vertriebenen Intellektuellen kehrten überhaupt zurück. Sie taten es auch aus gesellschaftlichem Pflichtgefühl, um nicht im Nachhinein Deutschland Hitler zu überlassen, also die Vertreibung der Juden als Faktum zu akzeptieren. Sie wurden mit ihrer Arbeit zu einer wichtigen wissenschaftlichen und moralischen Instanz der jungen Bundesrepublik.
Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Petra Lambeck