Russen verlassen die Adria
18. November 2015Nein, einen so sommerlichen November hat Ana noch nie erlebt. Die schick angezogene Russin ist froh, dass sie am Strand auf Schuhe verzichten kann. Ihr Sohn badet gar – denn die Wassertemperatur liegt noch immer bei rund 20 Grad. Vor vier Jahren haben Ana und ihr Mann eine Wohnung in dem montenegrinischen Badeort Budva gekauft. Jetzt wohnt die Familie abwechselnd in der Kälte Westsibiriens und der Wärme an der Adria. "Sechs Monate sind wir hier, dann sechs Monate in Nowosibirsk", sagt die junge Mutter, während sie die Schaukel anschiebt. "Wir sind wegen des Klimas und der guten Menschen hier hin gekommen. Es ist toll für Kinder, die haben hier ihren Spaß."
Grundstücke, Apartments, Bungalows…
Damit schwimmt diese russische Familie eher gegen den Strom ihrer Landesleute. Denn das Interesse an Immobilien an der montenegrinischen Küste hat in den vergangenen Jahren stark nachgelassen. Doch obwohl viele an der Küste merken, dass der Boom vorbei ist, wird überall kräftig gebaut. Hochhäuser und Hotels sprießen aus dem Boden, alte Gebäude machen Platz für neue und größere. Seit Jahren hält sich hier niemand mit ästhetischen Überlegungen auf: rot oder grün, aus Glas oder Stein – Hauptsache, die Gebäude im urbanen Chaos von Budva bieten genug Platz für potenzielle Käufer. Ein Schild vor einem Einkaufszentrum zeugt noch von der Hoffnung auf die frühere Kundschaft: недвижимость – Immobilien, ist dort zu lesen.
"Inzwischen wollen die Russen Immobilien aber eher verkaufen. Sie versuchen, dabei zumindest annähernd so viel Geld zu bekommen, wie sie bezahlt haben", sagt Dušan Ranković, der in Budva eine Makleragentur leitet. Der 60-Jährige mit dem Schnurrbart kann sich noch gut an die goldenen Zeiten vor zehn oder zwölf Jahren erinnern, als die Russen massenhaft durch die Tür seiner Agentur hereinspazierten. "Alle haben gesagt, dass so wunderschönes Meer nirgendwo sonst in Europa zu finden ist. Außerdem verstehen wir uns gut, unsere beiden Sprachen sind ja slawisch", sagt Ranković. Die Russen wollten Villen, Grundstücke, Apartments, Bungalows. Die Preise explodierten, die Einheimischen rieben sich die Hände. "Die meisten Käufer hatten bis zu 150.000 Euro dabei. Das genügte damals für eine Zweizimmerwohnung in Budva."
Die lokale Presse berichtete zwar lieber über Oligarchen und kremlnahe Prominenz, die ihre Yachten in den montenegrinischen Häfen überwintern ließ und jede Menge Geld in Kasinos verschwendete. Doch der "durchschnittliche" Käufer gehörte eher der gehobenen Mittelschicht an, sagt die Wirtschafsanalytikerin Ana Nives-Radović. "Der Schwung der russischen Wirtschaft ermöglichte auch diesen Menschen, ein zweites Haus im Ausland zu erwerben. Sie kauften einfache Wohnungen, wo auch ihre Freunde im Sommer Urlaub machen konnten." Oder sie hätten eben diese Wohnungen weiter vermietet.
"Sie fühlen sich willkommen"
Eine Vereinigung der russischen Diaspora in Montenegro behauptet, Russen besäßen noch immer 70.000 Immobilien im Land. Ob das so stimmt, weiß selbst Predrag Jelušić nicht. Der Staatssekretär im Tourismusministerium verweist auf die Anstalt für Immobilien, die wiederum auf Anfragen nicht reagiert. Was Jelušić aber weiß, ist, dass der russische Markt der wichtigste für sein Land ist: Bis September verzeichnete Montenegro 320.000 Besucher aus Russland – damit liegen sie mit Abstand auf dem ersten Platz. "Die Russen fühlen sich willkommen hier, was aufgrund der historisch guten Beziehungen nicht wundert", sagt Jelušić. Außerdem habe Montenegro attraktive Strände, die alle in zwei Autostunden erreichbar seien.
Der Tourismus macht rund ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes aus und ist damit die wichtigste Branche für die 620.000 Einwohner des Balkanlandes, das seit 2006 getrennte Wege von Serbien geht. Vor allem damals, während des Referendums, sei es für die montenegrinische Führung wichtig gewesen, dass frisches Geld ins Land komme, sagt die Wirtschaftsexpertin Nives-Radović. "Der Markt war für alle geöffnet. Im Unterschied zu Kroatien etwa konnten in Montenegro auch Ausländer Grundstücke erwerben."
Es sei aber eine unrealistische Erwartung gewesen, dass der Rausch ewig anhalten werde. "Als die erste Welle von Russen kam, konnte man überall neue Gebäude sehen. Dann aber bekam Russland mit dem sinkenden Ölpreis und einem geschwächten Rubel zu tun." Nives-Radović meint auch, dass eine Initiative des Kremlchefs Wladimir Putin immer noch Wirkung zeigt: Vor zwei Jahren rief er seine Landsleute dazu auf, ihre Immobilien im Ausland zu verkaufen und das Geld lieber zuhause zu investieren.
"Die Russen mögen die NATO nicht"
Doch es liegt die Frage in der Luft, ob der Rückzug der russischen Immobilienbesitzer nicht auch etwas mit der montenegrinischen Politik zutun hat. Das unabhängige Montenegro – seit 25 Jahren von Milo Đukanović angeführt, der abwechselnd Premier und Präsident war – geht entschieden den sogenannten euroatlantischen Weg: Bis zum Ende des Jahres erwartet Montenegro die Einladung für einen Beitritt zur NATO – und beteiligt sich sogar an den EU-Sanktionen gegen Russland, was viele als Bruch der traditionell guten Beziehungen sahen. "Wissen Sie, die Russen mögen die NATO gar nicht", sagt der Immobilienmakler Ranković. "Sie sagen mir, dass die Beziehungen mit den Montenegrinern nicht mehr so gut sind wie früher."
Über Politik redet Krsto Niklanović nur ungerne. Der stämmige Mann empfängt in seinem berühmten Restaurant "Jadran", direkt an der Promenade. Auf dem Tisch liegen Ausgaben eines russischsprachigen Magazins für Montenegro. Auf dem Cover ist Alexander Saldostanov, genannt "Chirurg", der Anführer der Bikergruppe "Nachtwölfe".
"Ja, ich kenne ihn gut", sagt Niklanović. Doch jüngst gab es Ärger mit seinen russischen Freunden – als Niklanović in einem Fernsehespot zu sehen war, in dem für die NATO-Mitgliedschaft geworben wird. Er habe nicht gewusst, dass er in diesem Spot auftauchen werde, sagt er, und dagegen protestiert. "Meine Gäste frage ich nicht, ob sie für oder gegen die NATO sind, welche Partei sie wählen oder welcher Nationalität sie sind. So ist mein Job." Montenegro solle nur auf seine wirtschaftlichen und touristischen Interessen achten. "Wie damals im sozialistischen Jugoslawien: ein bisschen nach Westen, ein bisschen nach Osten, ein bisschen blockfrei, ein bisschen nicht."
Die Russin Ana hat wenig von der politischen Orientierung Montenegros mitbekommen. Die Absicht, ihre Wohnung wieder zu verkaufen und das Adrialand ganz zu verlassen, haben sie und ihr Mann nicht. Die sechs Monate aber sind bald um. Während Ana ihren Sohn auf dem Strandspielplatz von Budva schaukelt, bereitet sie sich deshalb auf die Heimreise nach Nowosibirsk vor. Die Wettervorhersage für die russische Metropole sagt: sonnig, minus 15 Grad.