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Ein Produkt seiner Umwelt

Peter Philipp30. Dezember 2006

Der ehemalige irakische Machthaber Saddam Hussein ist tot. Um 6 Uhr Ortszeit wurde er in Bagdad durch den Strang hingerichtet. Das Porträt eines Menschen, den der Westen erst stützte, dann stürzte.

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Saddam Hussein mit ausgebreiteten Armen im Gerichtssaal
Bis zuletzt bezeichnete Saddam Hussein das irakische Gericht als illegitimBild: AP

Die Stimme von Richter Rauf Rashid Abdel Rahman wird von den Rufen des Angeklagten übertönt: "Lang lebe das Volk! Nieder mit den Verrätern! Gott ist groß! Ihr seid die Feinde der Menschheit!" Soviel aber hat der Richter klar und deutlich sagen können: "Das Gericht verurteilt den Angeklagten, Saddam Hussein al Majid, zur Hinrichtung durch den Strang."

Es ist der 5. November 2006. Seit elf Monaten steht der irakische Ex-Diktator in Bagdad vor Gericht. Zunächst wegen der Ermordung von 143 Einwohnern des Ortes Dujeil 1982, dann - in einem zweiten Prozess - wegen der Ermordung und Vertreibung von mehr als 100.000 Kurden in der so genannten Anfal-Kampagne Ende der 80er-Jahre.

Im Vordergrund der amerikanische Irak-Verwalter Paul Bremer, die Tränen unterrdrückend. Im Hintergrund Saddam bei der Untersuchung seiner Zähne
Amerika stellte den bärtigen Saddam zur SchauBild: AP

Saddam Hussein wurde wegen seiner Verantwortung für Dujeil verurteilt. Der zweite Prozess soll auch nach seiner Hinrichtung fortgeführt werden. Ob es weitere Prozesse geben wird, ist ungewiss. Ohne den Haupt-Angeklagten scheint das nicht mehr viel Sinn zu machen.

Saddam Husseins Prozess sei "ein Meilenstein bei den Bemühungen des irakischen Volkes, die Herrschaft eines Tyrannen durch die Herrschaft des Gesetzes einzutauschen", meint US-Präsident George W. Bush. "Es ist eine große Leistung für Iraks junge Demokratie. Die Opfer dieses Regimes haben die Gerechtigkeit erfahren, von der viele glaubten, dass sie nie kommen würde."

Vom Mörder zum Märtyrer

Nicht jeder teilt diese Meinung. Weltweit gab es Kritik an der Todesstrafe für Saddam - nicht aus Sympathie für den gestürzten Diktator, sondern aus grundsätzlichen Überlegungen: Die Europäer haben die Todesstrafe abgeschafft und auch der Vatikan warnt, man könne Verbrechen nicht durch Verbrechen sühnen.

Bedenken, die in Washington nicht geteilt werden. Erst recht nicht in der irakischen Regierung. In Bagdad wurde der Weg zur Hinrichtung geebnet: Als die USA im Sommer 2004 offiziell die Souveränität einer irakischen Übergangsregierung übertrugen, hatte diese nichts Eiligeres zu tun, als die Todesstrafe wieder einzuführen. Sie war zuvor von den USA abgeschafft worden.

Auch Saddam Hussein muss von Anfang an klar gewesen sein, dass er diesen Prozess oder diese Prozesse nicht lebend überstehen wird. In bewusst heroischer Art spielte er zu Beginn des Prozesses den Märtyrer, der sich in sein Schicksal fügt und bereit ist, sich für das Land zu opfern: "Wenn ich spreche, dann sollten Sie mich als ihren Bruder betrachten - im Sinne von Brüdern im Irak, in der Nation. Ein Todesurteil rührt mich weniger als der Schuh eines Irakers. Ich fürchte die Exekution nicht. Sie kennen mich besser als alle Leute auf der Welt. Niemand braucht über meine Zeit von 1959 bis heute zu sprechen."

Versteckspiel im Erdloch

Den Amerikanern dienten Saddams Verbrechen als Grund für den Einmarsch im Irak. US-Truppen suchten lange nach dem Ex-Diktator, nachdem sie 2003 Bagdad erobert und symbolisch die Saddam-Statue umgestürzt hatten. Doch die Nummer Eins auf der amerikanischen Fahndungsliste war wie vom Erdboden verschluckt. Selbst ein Millionen-Kopfgeld brachte keinen Erfolg. Saddam hatte offenbar noch zu viele Freunde und Anhänger, so dass er sich zunächst verstecken konnte.

Bush spiricht 2003 auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln. Im Hintergrund das Transparent "Mission Accomplished"
US-Präsident Bush stürzte Saddam mit MilitärmachtBild: AP

Bis zum 15. Dezember 2003. Der damalige US-Verwalter für den Irak, Paul Bremer, machte keine langen Umschweife, als er in Bagdad vor die Presse trat mit den Worten: "Meine Damen und Herren: Wir haben ihn!" Nur Stunden zuvor hatte man Saddam gefunden - unweit seines offiziellen Geburtsortes Tikrit hatte er sich neben einem Landhaus in einem Erdloch versteckt. Vermutlich führte der Tipp eines Verräters die amerikanischen Infanteristen dorthin - und Saddam ergab sich widerstandslos. Ein Vollbart verfremdete sein Aussehen, aber spätestens nach einer über Fernsehen weltweit verbreiteten Untersuchung seines Gebisses stand fest: Dies ist Saddam Hussein.

Konsequente Gewalt

Der einst so mächtige Mann, der von da an in einem Gefängnis der Besatzer außerhalb von Bagdad eine Zelle bewohnte, hat eine bewegte Laufbahn hinter sich: Er stammt aus einfachsten Verhältnissen. Saddam wächst bei einem Onkel auf, dessen Nationalismus und Bewunderung für die Nazis ebenso prägend sind wie die Gemeinheiten des Stiefvaters. Es ist nicht bekannt, dass er religiös aufgezogen wurde. Saddams religiöse Worte, die Position der Gläubigen werde weiterhin "standhaft und fehlerfrei" bleiben, war wohl reine Taktik, um bei den Massen Rückhalt zu gewinnen.

In Wirklichkeit war Saddam Hussein eher ein Liebhaber schottischen Whiskys, kubanischer Zigarren, blonder Frauen und gefälliger Lobgesänge. Zielstrebig mordete er sich an die Spitze des Staates, liquidierte Konkurrenten aus dem eigenen Lager, richtete massenweise hin - Kommunisten, Juden oder Offiziere, die in Ungnade gefallen sind. Selbst Verwandte und engste Freunde waren vor Saddam nicht sicher, der jeden Zweifel beiseite schob mit den Worten: "Lieber einen Unschuldigen umbringen als einen Schuldigen leben lassen."

Basra 2003: Menschen zwischen Leichen in Plastiksäcken
Saddams Regime hinterließ zahlreiche MassengräberBild: AP

In der Jugend versuchte er sich vergeblich als Tyrannenmörder an einem seiner Vorgänger im Amt des Staatsoberhaupts, Flucht und Exil folgten, dann die Heimkehr und sein langsamer, aber unaufhaltsamer Aufstieg zum selbstherrlichen und sich selbst überschätzenden Präsidenten. Eine Überheblichkeit, die den Irak immer wieder ins Unglück stürzte: Im langen Krieg gegen den Iran, dann wieder bei der Eroberung Kuwaits, die 1991 zur Operation Wüstensturm führt und letztlich zum US-Angriff 2003.

Bereits als junger Mann tat sich Saddam in Kairo mit Gewalt hervor und kann dort nur unter Gewaltandrohung die Oberschule absolvieren. Nach demselben Muster verschaffte er sich in Bagdad einen Jura-Titel, ernennt sich selbst - ohne jede militärische Ausbildung - zum Feldmarschall und bestand immer darauf, Entscheidungen selbst zu fällen. Er misstraute jedem Ratschlag.

Ein Produkt seiner Gegner

Von Hitler bis Stalin hat Saddam gelernt, einen totalitären Staat zu führen - mit allgegenwärtiger Kontrolle der Geheimdienste und erbarmungsloser Unterdrückung auch nur der leisesten Kritik. Frankreich verhalf ihm fast zur Atombombe, Deutschland wahrscheinlich zu chemischen Waffen. Und von der amerikanischen CIA erhielt er Hilfe im Krieg gegen den Iran und seine ersten biologischen Waffen. Diese Zusammenarbeit dauerte aber nicht lange. Seit dem Kuwait-Krieg herrschte offene Feindschaft zwischen Washington und Bagdad. Saddam sah die Ursache dafür im amerikanischen Imperialismus, der "die Beherrschung der Welt und die Kontrolle des Öls im Nahen Osten" anstrebe.

BdT Indien Reaktionen auf Saddam Urteil
Mörder hin oder her - das Todesurteil ist umstrittenBild: AP

Saddam Hussein wurde allzu lange falsch eingeschätzt. Von den Irakern selbst, aber erst recht vom Ausland. Sonst hätte man ihn in Washington, Paris, Moskau und anderswo wohl nicht so zielstrebig unterstützt. Das Misstrauen gegenüber dem islamischen Regime in Teheran alleine kann nicht das Motiv gewesen sein. Und ohne solche Unterstützung wäre der Diktator kaum so weit gekommen. Die Welt hat ihn dazu gemacht.

Dieselbe Welt will denn später auch, dass Saddam der Prozess gemacht wird. Aber zunächst ist unklar, wann, wie und von wem. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wäre der richtige Ort. Er darf aber nur Fälle behandeln, die sich nach Juli 2002 ereignet haben. Ein zweiter Nürnberger Prozess erscheint Washington vorübergehend eine gute Gelegenheit, den Krieg nachträglich zu rechtfertigen. Ein rein amerikanisches Gericht würde aber zu sehr nach "Siegerjustiz" aussehen und auf ein UN-Gericht kann man sich nicht einigen: Die Vereinten Nationen wollen nicht als verlängerter Arm der USA erscheinen. Umso mehr, als irakische Politiker schon vor dem Prozess offen die Todesstrafe für Saddam fordern.