"Saddam mochte meinen Vater"
10. Juni 2014Die Nachmittagssonne, die durch die Blätter der halb vertrockneten Pflanze auf dem Fensterbrett fällt, wirft ein Schattenmosaik auf Ibrahim Al-Basris Kopf. Sein Gesicht ist ernst, die fahlen Lippen deuten ein Lächeln an. "Mein Vater ist mein Idol", sagt sein Sohn Saif. Sein Vater verzieht keine Miene, die Augen starren weiterhin geradeaus: Der Kopf ist aus Stein. Saif hat ihn 2006 gemeißelt. Damals hatte sein älterer Halbbruder ihn gerade nach Münster geholt, nachdem ihr Vater entführt worden war. Im Irak sei es für ihn nicht mehr sicher, hatte sein Bruder gesagt und, als Saif sich wehrte, hinzugefügt: "In Deutschland kannst du den Traum deines Vaters erfüllen."
Saif wollte wie sein Vater Arzt werden. Dieser hatte in den 1960ern in Leipzig Medizin studiert und war dann nach Bagdad zurückkehrt. Dort wurde er zu einem der besten Ärzte, nein, dem besten Arzt im Irak, sagt Saif bestimmt. Der damalige Machthaber Saddam Hussein machte ihn zu seinem Leibarzt. Vor seiner Entführung erzählte Ibrahim Al-Basri einem deutschen Journalisten die Geschichte, wie ihn Saddam auswählte, weil er ihn beim Vorstellungsgespräch mit seinem Mut beeindruckte. Dass sein Vater mehr als ein Jahrzehnt lang über die Gesundheit des Diktators wachte, hält Medizinstudent Saif nicht für einen Fehler. Am Anfang habe Saddam durchaus das Land modernisieren und Gutes tun wollen. Zu einem echten Tyrannen, der willkürlich mordete, sei er erst später geworden.
Saif selbst war als Jugendlicher Saddam-Fan, fasziniert von dem Diktator, Mitglied der Saddam-Jugend, indoktriniert. "Das war ja damals so", sagt er. Seine Onkel waren Regimekritiker, verstummten aber, wenn der kleine Saif den Raum betrat. Er macht eine Pause: "Ich war doch noch ein Kind." Saifs Stimme ist weich, das fast fehlerfreie Deutsch leicht gefärbt vom Arabisch seiner Kindheit.
Flucht nach Deutschland
Heute sieht der 24-Jährige die Dinge anders, nennt Saddam einen Tyrannen, den er mit Adolf Hitler vergleicht. Er befürwortet ausdrücklich den Irak-Krieg, der den Diktator entmachtete. Sein Vater sei Saddam niemals blind gefolgt: Er habe immer offen seine Meinung über den Diktator geäußert. Doch die Courage, die dem Diktator anfangs gefiel, wurde letztlich zu seinem Verhängnis. 1990 fiel er in Ungnade. Er habe wohl zu deutlich kritisiert, sagt Saif. Ibrahim al-Basri wurde Hochverrat vorgeworfen, ein Todesurteil ausgesprochen, das dann in eine lebenslange Haft umgewandelt wurde. "Saddam mochte meinen Vater", sagt Saif, das habe ihn wohl vor dem Tod bewahrt.
Trotzdem: Sein ältester Bruder musste sein Studium abbrechen, die Familie verlor zwei ihrer Häuser und "alle Aktien in der Bank." Weil Saddam Hussein aber Saifs deutsche Stiefmutter kannte, Ibrahims erste Frau, die in Bagdad lebte, durfte die Familie ein Haus behalten. Es war ihr Sohn, Saifs Halbbruder, der ihn schließlich nach Deutschland holte.
Saddam habe ihm ein normales Familienleben genommen. Seine Kindheitserinnerungen an seinen Vater sind die an eine Gefängniszelle. Einmal im Monat, zwei, manchmal drei Stunden lang durfte seine Familie den Vater besuchen. Saif erinnert sich an Spielzeug, das dieser im Gefängnis gebastelt hatte, daran, dass der Vater ihn küsste, er dann Fernsehen schaute, während seine Eltern miteinander sprachen. Eigentlich kannte er seinen Vater damals nur aus Erzählungen - und aus den Briefen und Gedichten, die dieser im Gefängnis schrieb. Saif wurde 1989 geboren, kurz vor der Inhaftierung.
Häufige Entführungen
Tatsächlich habe er seinen Vater nur zwei Jahre lang gekannt. Die Freilassung 2002 sei genauso unvorhergesehen gewesen wie die Verhaftung. Warum er freigelassen wurde? Saif weiß es nicht: Vielleicht eine politische Amnesie oder aber ein Zeichen der Gnade eines unbeherrschbaren Despoten. Danach leitete sein Vater eine Stiftung für die Opfer des Regimes, gründete eine Partei und hegte politische Ambitionen. Er habe ihn damals nur wenig gesehen. Einmal, kurz nach dem Sturz Saddam Husseins, habe er seinen Vater gefragt, ob er Saddam nach den vielen Jahren im Gefängnis hasse und ihm den Tod wünsche. Da habe dieser ihn angeschaut und gesagt: "Wenn er irgendwann vor meiner Tür steht und um Hilfe bittet, dann würde ich ihm helfen." Als Arzt müsse er das tun. Solche Sätze machen seinen Vater zu seinem Helden.
Den Tag, an dem sein Vater schließlich wieder aus seinem Leben verschwand, hatte Saif in der Schule verbracht. Erst abends bemerkte seine Familie, dass der Vater weg war. "Er hatte damals viele Meetings, weil er für die Präsidentschaftswahl kandidiert hat." Seine Familie wusste nie genau, wo er sich gerade aufhielt. Überrascht war die Familie nie von der Entführung. Sein elfjähriger Bruder war bereits gekidnappt worden, von "Mafia-Verbrechern", so nennt Saif die Banden, die im Bürgerkriegs-Bagdad Menschen entführten, um Gelder zu erpressen. Die Familie zahlte für die Freilassung. Deshalb, erzählt Saif, war es für die Familie kein so großer Schock, als Ibrahim Al-Basri verschwand.
Die Hoffnung nicht aufgeben
Wieder zahlten Saifs Onkel ein Lösegeld. Wie viel, weiß Saif nicht genau, vielleicht 20.000 oder 30.000 US-Dollar. "Mein Vater war Arzt, er war ja wohlhabend." Trotzdem kam er nie frei, die Entführer riefen nie wieder an. Wer hinter der Aktion steckte? "Keine Ahnung", sagt Saif. Sein Vater sei säkular gewesen, vielleicht habe er irgendwelche Extremisten beleidigt. Vielleicht waren es auch politische Gegner. Seine Onkel hätten seinem Vater oft gesagt: "Sei nicht so kritisch, halte dich zurück, du machst dir Gegner."
Ob er glaube, dass sein Vater noch lebe? Saif setzt kurz an, seine Stimme bricht. "Ich will die Hoffnung nicht aufgeben", sagt er leise. Für ihn lebe sein Vater immer noch. Er macht eine Pause und holt tief Luft. "Ich versuche, diese Frage zu vermeiden, immer." Denn die Antwort sei einfach zu schmerzhaft. Die steinernen Lippen seines Vaters sind zu einem leichten Lächeln verzogen.