Salafist Abu Walaa zu Haftstrafe verurteilt
24. Februar 2021Das Oberlandesgericht Celle hat den IS-Chefanwerber in Deutschland zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Es blieb damit unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die elfeinhalb Jahre für Ahmad Abdulaziz Abdullah A. gefordert hatte, der auch als Abu Walaa bekannt ist. Das Urteil erging wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Beihilfe zur Vorbereitung einer schwerer staatsgefährdenden Gewalttat und Terrorismus-Finanzierung.
Bis zu acht Jahre für Mitangeklagte
Die Richter sehen es als erwiesen an, dass der gebürtige Iraker der Kopf eines islamistischen Netzwerks war, das junge Menschen radikalisierte und als Rekruten für den Kampf der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Ausland anwarb.
Drei Mitangeklagte verurteilte das Gericht zu Haftstrafen zwischen gut vier und acht Jahren. Auch diese seien ebenfalls wichtige Figuren in der islamistischen Szene gewesen, betonte der Vorsitzende Richter Frank Rosenow in seiner Urteilsbegründung. Sie hätten ihre Schüler und Zuhörer dazu aufgefordert und ermuntert, in IS-Gebiete auszureisen oder Anschläge im Namen der Terrormiliz zu begehen. Alle Angeklagten hätten teils zusammengearbeitet, seien aber "nicht Teil eines festgefügten Netzwerks" im Sinne einer straff organisierten Organisation gewesen.
Der Celler Prozess dauerte insgesamt 245 Verhandlungstage. Rosenow sprach von einem "besonderen Verfahren", das auch strafrechtlich "aus dem Rahmen" gefallen sei.
Der Prozess begann 2017
Der heute 37-jährige Abu Walaa war laut Bundesanwaltschaft eine Art Repräsentant der Miliz und pflegte dabei enge Beziehungen zu Vertretern des IS in Syrien sowie im Irak, als dieser dort auf dem Höhepunkt seiner Macht war. Die Verteidiger von Abdulaziz Abdullah A. hielten die Vorwürfe hingegen auch nach der sehr langwierigen Beweisaufnahme für unbegründet. Sie forderten einen Freispruch.
2016 wurden Abdulaziz Abdullah A.und vier weitere mutmaßliche Salafisten festgenommen. Das Staatsschutzverfahren begann im September 2017, bei dem er und drei der vier Beschuldigten im Alter von 33 bis 54 Jahren sich verantworten mussten. Der Prozess gegen einen vierten Mitangeklagten wurde abgetrennt, nachdem er gestanden hatte. Er endete im April 2020 mit einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und drei Monaten.
Wer ist Abu Walaa?
Doch wer ist der als Abu Walaa bekannte gebürtige Iraker, zu dem auch Anis Amri, der Terrorist, der auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 zwölf Menschen tötete, die Nähe suchte? Die Besucher der Moschee des mittlerweile verbotenen "Deutschen Islamkreises" (DIK) in Hildesheim kannten ihn persönlich, weil er dort über Jahre hinweg immer wieder auftauchte. Aber Abu Walaa war auch ein Internet-Phänomen. Der Salafistenprediger bediente im Netz so ziemlich jeden Kanal.
Seine Anhänger konnten über den Textnachrichten-Dienst "telegram" mit ihm in Kontakt treten, er hatte eine eigene "Abu Walaa-App, die immer für den direkten Draht sorgt" und auch bei YouTube hatte er einen eigenen Kanal. Auf seiner Facebook-Seite versprach "Scheich Abu Walaa", wie er sich nannte, "Ermahnungen, Ahadithe, Rezitationen und Infos zum Unterricht". Aber nicht nur Details zu dem Arabisch-Unterricht, den der Prediger anbot, wurden dort veröffentlicht, sondern auch Infos zu seiner Verhaftung damals, am 8. November 2016: "As Salamu Alaikum, Liebe Geschwister Sheikh Abu Walaa wurde Heute Festgenommen und wird grad nach Karlsruhe gebracht" [sic], stand dort geschrieben.
Der Mann ohne Gesicht
Es war nicht das erste Mal, dass dem heute 37-jährigen Abu Walaa Verbindungen zu Terroristen vorgeworfen wurden – und das sogar aus deutsch-salafistischen Kreisen, zum Beispiel von dem salafistischen Prediger Pierre Vogel. Der hatte in den vergangenen Jahren wiederholt öffentlich Terroranschläge im Westen verurteilt und war dafür von deutschen IS-Sympathisanten heftig angegriffen worden. Pierre Vogel selber gilt bis heute als führendes Mitglied der salafistischen Szene in Deutschland.
In seinen Videos auf Youtube zeigte er sein Gesicht meist nicht. Daher nannten ihn manche auch den Mann ohne Gesicht. Seine Videos begannen oft mit religiösen Gesängen, dann nahm der Mann mit dem langen dunklen Bart an einem Schreibtisch Platz. Vor ihm - ein Gebetsbuch. In seinem Video "Abu Walaa - Antwort auf Pierre Vogel" nahm er Stellung zu den Vorwürfen seines Kontrahenten. Manche seien bereit, mit den Kuffar (den Ungläubigen) zusammenzuarbeiten und der Umma (der islamischen Gemeinschaft) in den Rücken zu fallen, sagt er. Stattdessen sollten seine Anhänger sich lieber fragen, wie sie der syrischen und irakischen Bevölkerung helfen könnten.
"Nummer 1 des IS in Deutschland"
Schon fast routiniert bestritt Abu Walaa, irgendetwas mit dem IS zu tun zu haben. Die Behörden sahen das anders, denn ihnen war Abu Walaa als wichtiger Propagandist der salafistischen Szene schon lange bekannt. 2015 wurde er in NRW bereits als Gefährder eingestuft. Zwischen Salafisten-Zentren in NRW und Hildesheim soll es enge Verbindungen gegeben haben, hieß es kurz nach Abu Walaas Festnahme.
Die Behörden stützten ihre Anklage auch auf die "Angaben einer sogenannten Vertrauensperson", der man Vertraulichkeit zugesichert habe. In den Augen von Ahmad Abdulaziz Abdullah A. sei diese Person "ein Verräter", teilte die Bundesanwaltschaft mit. Er habe Mitte September 2016 über einen Messengerdienst dazu aufgerufen, "sie zu töten".
Hildesheim und das Internet: Orte der Rekrutierung
Die 2012 gegründete Moschee des "Vereins Deutscher Islamkreis Hildesheim e. V." (DIK), wo Abu Walaa sich häufig aufhielt, war besonders ins Visier des Bundesnachrichtendienstes geraten.
Mindestens 26 junge Leute, die aus dem niedersächsischen Hildesheim stammen oder einen Bezug zu der Stadt haben, sollen in Richtung arabischer Kriegsgebiete ausgereist sein. Etliche von ihnen sollen über den DIK radikalisiert oder angeworben worden sein. Unter ihnen auch Safia S. Sie hatte im Februar 2016 am Hauptbahnhof in Hannover einen Bundespolizisten mit einem Messer attackiert und wurde zu einer sechsjährigen Jugendstrafe verurteilt. Zuvor war sie häufig in der Moschee gewesen. Ein Belastungszeuge war Yusuf T. Er war selbst wegen eines Anschlags auf einen Sikh-Tempel in Essen im Jahr 2016 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, seither ist er als "Tempelbomber" bekannt. Im Gefängnis soll der junge Mann geschildert haben, dass er von dem Mann ohne Gesicht radikalisiert worden sei.
Abu Walaa soll starken Einfluss auf junge Leute gehabt haben, er sei ein Spezialist für Indoktrinationen, sagten die Ermittler. Ein Seelenfänger. Seine Videos erhielten oft weit über 40.000 Aufrufe bei YouTube. Auch auf Facebook erreichte er viele Menschen.