Samaras: Griechenland steht am Abgrund
5. Oktober 2012Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras warnt vor dem Zerfall der Gesellschaft, sollten die Reformen des hochverschuldeten Landes scheitern. "Die griechische Demokratie steht vor ihrer vielleicht größten Herausforderung", sagte der konservative Regierungschef dem "Handelsblatt". Der Zusammenhalt sei durch die "steigende Arbeitslosigkeit gefährdet, so wie es gegen Ende der Weimarer Republik in Deutschland war". Eine große Gefahr sei dabei der Aufstieg radikaler politischer Kräfte.
Die Griechen hätten durch die Sparmaßnahmen und die desolate wirtschaftliche Lage "innerhalb von fünf Jahren mehr als ein Drittel unseres Lebensstandards verloren", sagte Samaras der Zeitung. Daher habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den richtigen Ton getroffen, als sie bemerkte, ihr blute angesichts dieser Schicksale das Herz, meinte Samaras. Er lud die Kanzlerin, die in Griechenland teilweise Zielscheibe von Schmähungen ist, nach Athen ein. "Sie ist uns jederzeit willkommen!"
Die Kanzlerin reagierte bereits: Am kommenden Dienstag wird Merkel in das krisengeschüttelte Land reisen. Das gab Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin bekannt.
Kritisch äußerte sich Samaras über den FDP-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Dieser sei "offensichtlich nicht unser bester Verbündeter". Rösler hatte im Sommer betont, ein Euro-Austritt Griechenlands sei für die übrige Eurozone verkraftbar. Seitdem hatte sich in der Bundesregierung aber die Ansicht festgesetzt, dass ein Staatsbankrott Athens mit anschließendem Verlassen der Eurogruppe zu große Risiken berge.
Problem mit der Troika
Derzeit prüfen die Experten der "Troika" (EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalem Währungsfonds) die Fortschritte Griechenlands bei den Reformen. Von ihrem Bericht hängt ab, ob das Land die nächste Hilfstranche bekommt. Ein Problem sieht der griechische Regierungschef darin, dass die Troika weitere Einschnitte bei den Renten und Gehältern verlange. "Die bisherigen Einschnitte gehen bereits bis auf die Knochen. Wir sind an der Grenze dessen, was wir unserer Bevölkerung zumuten können", sagte Samaras dem "Handelsblatt".
Nicht nur das Volk, auch seine Regierung bringe Opfer auf. Er bekomme so viel Gehalt wie ein durchschnittlicher Abgeordneter, verriet der Ministerpräsident. Das seien 5780 Euro brutto im Monat.
Die EZB könnte helfen
Samaras dringt auf die Auszahlung der nächsten Hilfszahlung von 31 Milliarden Euro. Auf die Frage, bis wann Griechenland ohne die Rate noch durchhält, sagte er: "Bis Ende November. Dann ist die Kasse leer." Zugleich forderte er mehr Zeit für Griechenland bei der Sanierung. "Was wir brauchen, ist mehr Zeit für die Haushaltskonsolidierung - aber nicht unbedingt mehr Hilfskredite", sagte er. Helfen könnte derzeit etwa die "EZB, die ja griechische Staatsanleihen hält, mit niedrigeren Zinsen für diese Papiere". Oder die Notenbank könne einer Laufzeitverlängerung zustimmen, wenn diese Bonds fällig werden, sagte Samaras. Vorstellen könne er sich auch eine direkte Rekapitalisierung der griechischen Banken direkt über den Euro-Rettungsschirm ESM. "Der Austritt aus dem Euro ist keine Option für Griechenland - er wäre eine Katastrophe", sagte der Regierungschef. Denn dann wäre das Vermögen der Griechen stark entwertet und die Schulden würden mehr.
Wenn sein Land mehr Zeit bekäme, würde es die Talfahrt der Wirtschaft stoppen und eine Trendwende einleiten können, so Samaras. Seit dem Ausbruch der Schuldenkrise hat Griechenland bereits ein Fünftel seiner Wirtschaftskraft eingebüßt. "Mit dem Konsolidierungsprogramm der beiden kommenden Jahre werden wir weitere sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts verlieren."
Trotzdem sieht der Regierungschef auch ermutigende Zeichen. Die Gelder kehrten langsam zurück. "Erstmals seit langem haben wir im Juli und August einen Fiskalüberschuss im Haushalt erzielt. Auch die Handelsbilanz hat sich sehr verbessert", sagte Samaras.
zdh/ as (rtr, dpa)