Sanktionen fördern Korruption im Iran
30. Oktober 2019Dieser Tage berichten die Medien im Iran ausführlich über einen spektakulären Prozess. Vor Gericht steht die als "Chefin der Medikamenten-Mafia" bezeichnete Shabnam Nematzadeh. Der Vater der Angeklagten, Mohammad Resa Nematzadeh, war von 2013 bis 2017 Industrieminister. Er gilt als Hardliner und hat in den vergangenen 40 Jahren als Politiker unterschiedliche Posten in der Islamischen Republik bekleidet.
Der 48-jährigen Shabnam Nematzadeh wird vorgeworfen, über ein Netz von Firmen den Markt für Medikamente manipuliert zu haben. Ihre Firmen besaßen Sondergenehmigungen für den Import und die Verteilung von Medikamenten im Iran. Der Iran produziert zwar mehr als 90 Prozent seiner Medikamente selbst. Spezialmedikamente aber, etwa für krebskranke Patienten, müssen aus dem Ausland eingeführt werden.
Schwarzmarkt für Medikamente
Wegen der US-Finanzsanktionen kann der Iran diese Spezialmedikamente weder importieren noch wichtige Rohstoffe für die pharmazeutische Industrie im Ausland kaufen, jedenfalls nicht auf dem normalen Handelsweg. Viele Medikamente, die offiziell nicht erhältlich sind, kann man dennoch auf dem florierenden Schwarzmarkt kaufen, für ein Vielfaches des normalen Preises. Das Problem ist nicht neu. Bevor die Unterzeichnung des Atomabkommen im Jahr 2015 kurzfristig Linderung brachte, litt Iran unter demselben Problem.
Bei der Umgehung der Sanktionen spielen Privatleute wie Shabnam Nematzade eine wichtige Rolle. Mit ihren im Ausland gegründeten Firmen kaufen sie die Ware und bringen sie mit Sondergenehmigungen der Behörden in den Iran. Es handelt sich durchweg um gut informierte, bestens vernetzte und vor allem systemtreue Geschäftsleute, die aus dem Leid von Millionen Iranern Profit schlagen.
Dank ihres prominenten Vaters hatte auch Shabnam Nematzadeh beste Kontakte in höchste Kreise. Ihr wird nun vorgeworfen, Medikamente gehortet zu haben, um höhere Preise zu erzielen. Sie soll ohne Absprache mit dem Gesundheitsministerium Medikamente zum Teil direkt an Apotheken verkauft haben. Das Geld soll über verschiede andere Konten auf ihrem Privatkonto gelandet sein. Die Behörden haben auch abgelaufene Medikamente in ihrem Lagerhaus gefunden.
Korruption bis zum Chef der Justiz
Den Fall Nematzadeh kennt Mohamad Mosaeed gut. Im Gespräch mit der DW erklärt der investigative Journalist aus Teheran, das Firmennetz von Nematzadeh sei den Behörden seit langem bekannt gewesen. "Sie wurde früher schon einmal verhaftet, direkt nachdem die Justiz eine große Kampagne gegen die Korruption gestartet hatte. Diese Kampagne war eine Reaktion auf die landesweiten Proteste von Anfang 2018."
Einige Monate später stellte der Justizchef einen Plan zur "ausnahmslosen Bekämpfung der Korruption bis in höchste Stellen" im Iran vor. Die Anti-Korruptionskampagne hat mittlerweile viele Politiker im Iran erreicht. Unter Korruptionsverdacht geriet sogar der Justizchef selbst: Sadegh Laridschani soll Grundstücke beschlagnahmt und sich überschrieben haben, so auch in Lavasan, einem Villenviertel, das als Beverly Hills der iranischen Hauptstadt gilt. "Der Justizchef wurde ausgewechselt, aber der Apparat ist derselbe", meint der Journalist Mosaeed. "Das Ganze sieht nach einem Schauprozess und einem Bauernopfer aus."
Rohani-Anhänger im Visier
Der Unmut in der iranischen Gesellschaft wächst und die Machthaber spüren das. "Deswegen müssen nun ein paar Köpfe rollen," sagt Resa Alidschani. Der Schriftsteller lebt im Pariser Exil. "Korruption im Iran ist ein systemisches Problem. Die Wurzel des Problems liegt in der iranischen Ölwirtschaft. Die Verteilung des Ölreichtums liegt in den Händen der Machthaber und ihrer treuen Gefolgschaft. Sie bilden ein Netz von systemtreuen Geschäftsleuten, die ihre Finger überall haben. Das führt zu Korruption und Vetternwirtschaft in allen Bereichen der Wirtschaft".
So willkommen der Kampf gegen die Korruption vielen Iranern ist: Es besteht der Verdacht, dass konservative Kräfte ihn missbrauchen, um speziell Politiker ins Visier zu nehmen, die der Regierung Rohani nahe stehen, beziehungsweise um Hardliner in Position zu bringen. Der neue Chef der Justiz ist der ultrakonservative Ebrahim Raisi. Bei der letzten Präsidentschaftswahl war er Rohani unterlegen. Raisi wird als möglicher Nachfolger des religiösen Führers Ali Khamenei gehandelt. Resa Alidschani glaubt: "Wegen der Sanktionen sind die Ressourcen im Iran knapp geworden: Das Land hat Probleme, sein Öl zu verkaufen. Deshalb muss auch der Kreis Profiteure verkleinert werden."