Gedankliche Verirrungen
8. Oktober 2009Zwei Tatsachen sind völlig unbestritten. Erstens: Deutschland ist auf Einwanderer dringend angewiesen, wenn es auch in Zukunft seine wirtschaftliche Dynamik und damit seinen Wohlstand bewahren will. Es mag zwar wie ein Widerspruch erscheinen, einem Land mit derzeit 3,5 Millionen Arbeitslosen in naher Zukunft einen Arbeitskräftemangel vorherzusagen. Aber dass Deutschland in wenigen Jahren schon Ingenieure und eine Vielzahl anderer hoch qualifizierter Experten fehlen werden, wird von niemandem mit Fachkenntnis mehr bezweifelt.
Zweitens: Die Integration der bereits im Land lebenden sowie der ins Land kommenden Einwanderer ist nicht optimal. Darüber kann die Existenz einer Integrationsbeauftragten der Bundesregierung ebensowenig hinwegtäuschen wie die vom Bundesinnenminister veranstaltete Islam-Konferenz. Deutsch-Kenntnisse sind der Schlüssel zur Integration. Doch viele Einwanderer sprechen auch nach langen Jahren im Land kaum ein Wort deutsch. Brauchen sie auch gar nicht, weil sie sich in Parallel-Gesellschaften eingerichtet haben, in denen man auch ohne deutsche Sprache zurecht kommt. Weil man nur bei Landsleuten einkauft und via Satellit nur TV-Programme aus der Heimat konsumiert. Viele Deutsche sehen das mit Sorge, vor allem mit Blick auf die Zukunft: Wenn Kinder von Einwanderern doppelt so häufig die Schule ohne Abschluss verlassen wie deutsche Kinder, dann entstehen soziale Sprengsätze. Denn in Zukunft wird noch häufiger als heute die Formel gelten: kein Schulabschluss - bedeutet: keine Ausbildung - bedeutet: keine Arbeit - bedeutet: Armut.
Schwieriges Thema Integration
Wie dieser Teufelskreis aufzubrechen ist - darüber müsste in der Tat eine intensive politische Debatte geführt werden, die im Bundestagswahlkampf wieder einmal völlig ausgeblendet wurde. Was vor allem beweist, dass sich Deutschland bis zum heutigen Tag schwer tut mit dem Thema Integration. Denn die entsprechende Diskussion kennt fast nur zwei Extreme: Zum einen die Leugnung, dass überhaupt ein Problem existiert. Zum anderen die Polemik, die gnadenlos verallgemeinert und damit direkt in den Rassismus abgleitet.
Genau diesen Fehler hat Thilo Sarrazin gemacht, der bis vor einem halben Jahr Berliner Finanzsenator war und jetzt Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank ist. Im Gespräch mit der Zeitschrift "Lettre International" erklärte er, er müsse niemanden anerkennen, der vom Staat lebe, diesen Staat ablehne, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorge und - Zitat - "ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert". 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin klassifizierte er als aggressiv und atavistisch und räsonierte zudem über den IQ osteuropäischer Juden.
In der Kommunikationsfalle
Als Repräsentant der staatlichen Institution Deutsche Bundesbank hat sich Sarrazin damit unmöglich gemacht. Der Bundesbank-Präsident hat ihn nur deswegen noch nicht gefeuert, weil ihm die Geschäftsordnung der Bank dies verbietet. Sarrazin muss - so unsäglich dies klingt - kraft eigener Einsicht seinen Posten räumen. Doch das Ansehen der Institution Bundesbank, die der Präsident jetzt beschädigt sieht, ist nicht das Kernproblem.
Das Problem ist vielmehr, dass Sarrazin jede sachliche Diskussion um die Probleme der Integration in Deutschland wieder einmal unmöglich gemacht hat. Wer ihm im Kern seiner Aussagen Recht gibt, setzt sich gleichfalls dem Vorwurf aus, rassistisch zu denken. Wer Sarrazin kritisiert, beschränkt sich allein auf die Kritik seiner Wortwahl und sieht über die von ihm beschriebenen Probleme hinweg - so, als sei doch alles in bester Ordnung. Diese Kommunikationsfalle verhindert jede sachliche Diskussion. Das könnte sich irgendwann einmal als folgenschwerer Fehler erweisen. Denn unabhängig von den gedanklichen Verirrungen des Thilo Sarrazin ist als Faktum unstrittig: Die Integration der in Deutschland lebenden Einwanderer ist nicht optimal. Auch wenn sich das mal wieder niemand Namhaftes zu sagen traut.
Autor: Felix Steiner
Redaktion: Dirk Eckert