Diktaturen vertragen keinen Widerspruch
14. November 2016Jedes Jahr am 15. November, dem "Writers in Prison Day", macht die Schriftstellervereinigung auf die Schicksale eingesperrter oder verfolgter Autoren aufmerksam. Erinnert wird auch an solche, die sterben mussten, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen.
Der internationale PEN hat nun erstmals fünf Fälle ausgewählt, die beispielhaft für die Unterdrückung stehen, denen Autoren auf der ganzen Welt täglich ausgesetzt sind. So sollen die Schicksale von Aslı Erdoğan (Türkei), Ahmed Naji (Ägypten), Gui Minhai (China), Dareen Tatour (Israel) und Cesario Alejandro Félix Padilla Figueroa (Honduras) besonders ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden.
Derweil zeichnet das Internationale Writers in Prison Committees in London ein düsteres Bild der Lage der Meinungsfreiheit. Ihrer aktuellen Statistik zufolge wurden 2015 weltweit rund 1054 Autoren angegriffen, inhaftiert, gefoltert oder getötet. Die Deutsche Welle informiert auf ihrer Sonderseite dw.com/freedomofspeech ebenfalls über die Lage von Schriftstellern, Verlegern, Bloggern und Journalisten.
DW: Herr Feuchert, der PEN richtet seinen Focus am diesjährigen Writers-in-Prison-Day auf fünf Schicksale. Was haben alle diese Fälle gemeinsam?
Sascha Feuchert: Gemeinsam ist diesen fünf Menschen, dass sie sich alle intensiv für ihr Recht auf Meinungsfreiheit eingesetzt haben und dafür mehr oder weniger bestraft wurden – sei es in der Türkei, sei es in Ägypten, China, Israel oder Honduras.
Das freie Wort, wo ist es Ihrer Beobachtung nach besonders bedroht in der Welt?
Wenn wir nach den Zahlen gehen, ist die Türkei im Moment das Land, in dem die meisten Autorinnen und Autoren in Haft sitzen. Und da liegt momentan auch unsere größte Aufmerksamkeit, denn die Lage verschlechtert sich praktisch täglich.
Warum fürchten die Mächtigen sich vor der Meinung anderer, wenn sie doch die Macht in den Händen halten?
Ich glaube, Diktaturen sind darauf angewiesen, dass es keinen Widerspruch gibt, und sei er noch so klein. Jeder Widerspruch setzt einen kleinen Riss in die Mauer. Und deshalb verfolgt man so rigoros Menschen, die Widerspruch einlegen, die ihr Recht auf Freiheit und Meinungsfreiheit wahrnehmen. Das ist für den Diktator und die Diktatur folgerichtig.
Blicken wir noch einmal in die Türkei – was kann die Arroganz der Macht brechen?
Da hilft im Prinzip nur, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort weitermachen und ihre Meinung artikulieren und dass sie den Bestrebungen von Präsident Erdogan, dieses Land in eine Autokratie zu verwandeln, massiv entgegentreten. Genauso wichtig ist, dass wir sie dabei unterstützen.
Wodurch?
Indem wir ihnen ein Forum geben, auf ihre Schicksale aufmerksam machen und schließlich auch unsere nationalen Regierungen immer wieder auffordern, die Situation in der Türkei nicht zu akzeptieren.
Der Appell an unsere Politiker, sich einzumischen, ist ja nicht neu. Wird er ausreichend befolgt?
Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung jetzt mehr tut. Wir hatten über Wochen eine Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingefordert. Und nach der letzten Aktion gegen die Tageszeitung Cumhuriyet ist sie auch endlich erfolgt. Das hätten wir uns früher gewünscht. Aber im Moment sehen wir auch, dass etwa der Außenminister Steinmeier und andere sich klar positionieren. Und das ist gut so.
Deutschland ist zu Gast auf der Buchmesse in Istanbul – mit welchem Ergebnis aus Ihrer Sicht?
Das Ergebnis steht noch nicht ganz fest. Aber ich kann sagen, dass ich sehr froh und stolz darauf bin, dass deutsche Autoren die Gelegenheit ergriffen haben, sich dort mit türkischen Kollegen zu solidarisieren und auch klar ihre Meinung zu sagen. Man wird abwarten müssen, welche längerfristigen Konsequenzen das hat.
Professor Sascha Feuchert, Jahrgang 1971, ist "Writers- in-Prison"-Beauftragter des deutschen PEN-Zentrums in Darmstadt. Mit ihm sprach Stefan Dege.