Satire in der Türkei: Schluss mit lustig
16. Mai 2017DW: Herr Erdem, bitte verraten Sie uns Ihr Berufsgeheimnis. Wie karikiert man Präsident Erdoğan?
Selçuk Erdem: So ein großes Geheimnis ist das gar nicht, er wird schließlich von so ziemlich jedem gezeichnet. Natürlich hat jeder Karikaturist seinen eigenen Stil, aber es gibt schon gewisse Merkmale, auf die man achten sollte: Die Kopfform muss zum Beispiel stimmen. Der Schnauzbart und die Lippen sind auch sehr wichtig.
Versteht Präsident Erdoğan Spaß?
Ich denke, Herr Erdoğan ist nicht mit Karikaturen aufgewachsen und deshalb interessieren sie ihn nicht. Ich glaube, sie haben für ihn einfach keinen Wert. Karikaturen oder Satire insgesamt sprechen eine eigene Sprache - und Menschen, die sich nicht damit auseinandersetzen, verstehen diese Sprache nicht. Und deshalb verstehen sie die Zeichnungen dann auch oft falsch.
Hat sich Ihre Arbeit verändert, seit Erdoğan Präsident ist?
Ja, ich denke schon. Wir sind vorsichtiger geworden, seit er Präsident ist. Es gibt inzwischen so viele Gesetze, die unsere Arbeit einschränken. Dabei liegt es doch in der Natur der Sache, dass Satire kritisch ist. Satire spricht aus, was sich sonst niemand zu sagen traut. Es ist ja gar nicht unser Ziel, jemanden zu beleidigen. Aber wir müssen immer auf der Hut sein, denn manche Leute empfinden es schon als Beleidigung, dass wir überhaupt Karikaturen zeichnen.
Wie äußert sich das?
Früher wurde unser Magazin eigentlich nur von Stammlesern gekauft. Die kannten uns und wir kannten sie. Sie haben unsere Sprache und unsere Karikaturen verstanden. Inzwischen erreichen unsere Zeichnungen über die sozialen Medien viel mehr Menschen - und natürlich auch solche, die Satire nicht verstehen oder sie kategorisch ablehnen. Seitdem haben wir es oft mit Anfeindungen zu tun. Die Zahl der Drohungen per Telefon oder E-Mail hat stark zugenommen.
Viele Journalisten in der Türkei klagen über solche Einschüchterungsversuche...
Ja, und auch das bekommen wir auf besondere Weise zu spüren. Die Basis einer jeden Karikatur sind Nachrichten. Aber inzwischen ist die freie Berichterstattung in diesem Land so stark eingeschränkt, dass es kaum noch verlässliche Nachrichten gibt. Das wiederum engt unseren Spielraum ein. Oft fehlt uns einfach das Material für gute Karikaturen.
Haben Sie sich schon einmal dabei ertappt, dass Sie sich selbst zensieren, um keinen Ärger zu bekommen?
Wissen Sie, in der Türkei sitzen so viele Journalisten im Gefängnis - es ist extrem schwierig, das einfach auszublenden und drauf los zu zeichnen. Früher haben wir einfach losgelegt, wenn uns ein guter Witz einfiel. Aber das geht nicht mehr. Ja, ich denke, wir zensieren uns selbst - wenn auch nicht immer bewusst. Und damit sind wir nicht allein. Viele Journalisten sind sehr vorsichtig geworden. Denn man hört immer wieder, dass selbst Chefredakteure gefeuert werden, wegen eines einzigen kritischen Berichts.
Haben Sie deshalb entschieden, Penguen nach fast 15 Jahren einzustellen?
Nein, diese Entscheidung haben wir eher getroffen, weil sich die Lesegewohnheiten der Leute so radikal verändert haben. Jeder hat heute Internet, jeder hat ein Smartphone - und kaum einer kauft noch Printausgaben. Die Verkaufszahlen sinken, das ist hier in der Türkei nicht anders als überall sonst auf der Welt. Manche empfehlen uns, das Heft einfach teurer zu machen, aber das hielten wir nicht für den richtigen Weg. Also haben wir uns entschlossen, das Magazin einzustellen.
Und wie soll es jetzt weitergehen?
Erst einmal räumen wir unser Büro. Und dann machen wir von zu Hause aus weiter. Wir haben eine Penguen-App entwickelt, über die wir unsere Karikaturen jetzt veröffentlichen. Mehr als 400.000 Leute haben sie schon heruntergeladen, das ist doch ein ganz guter Anfang.
Selçuk Erdem ist einer der berühmtesten Karikaturisten der Türkei. Er hat 2002 das Satiremagazin "Penguen" mitgegründet - und mit seinen Zeichnungen 15 Jahre lang viele Menschen zum Lachen gebracht.
Das Interview führte Julia Hahn.