Erst Mode, dann Menschenrechte?
5. April 2021Saudi-Arabiens Medienlandschaft wächst: Seit März dieses Jahres erscheinen in dem Königreich die beiden internationalen Lifestyle-Magazine "Harper's Bazaar" und "Esquire".
Letzteres soll ab 2021 zweimal jährlich erscheinen, "Harper's Bazaar" vierteljährlich. Geplant ist eine Gesamtauflage von 100.000 Exemplaren in diesem Jahr. Beide Zeitschriften werden zweisprachig auf arabisch und englisch produziert.
Die Erlaubnis und Förderung dieser Hochglanz-Vorhaben sind Bestandteil der Strategie "Vision 2030" von Kronprinz Mohammed bin Salman. Mit der Strategie des Königshauses soll die saudische Monarchie sowohl sozial, wirtschaftlich als auch kulturell modernisiert werden.
Mode, made in KSK
"Modemagazine können sich zu einer wichtigen Plattform für einheimische Talente entwickeln und den kulturellen Austausch fördern", meint die saudische Prinzessin Noura bint Faisal Al-Saud. Die Enkeltochter von König Abdulaziz, Gründer Saudi-Arabiens, ist die Gründerin der saudi-arabischen Fashionweek.
Die Prinzessin gehört auch der nationalen Modekommission des Landes an, die unter dem Dach des saudi-arabischen Kulturministeriums für die wachsende einheimische Kulturszene zuständig ist. Als Leiter der Kommission wurde im Februar der aus der Türkei stammende Modeguru Burak Cakmak berufen.
Cakmak, der zuvor in New York an der Designhochschule "Parsons School of Design" den Bereich Mode leitete, soll nun in Saudi-Arabien das Label "Made in KSK" (Made in the Kingdom of Saudia Arabia) aufbauen und gestalten.
Saudis wollen Saudis sehen
Im Unterschied zu den bisherigen arabischen Ausgaben von "Harper's Bazaar Arabia" und "Vogue Arabia" soll der Inhalt der neuen Magazine von einheimischen saudi-arabischen Journalistinnen kommen.
Die Verlegergruppe ITP Media Group aus Dubai hat deshalb in der Hauptstadt Riad eigene Büros eröffnet und saudische Modejournalistinnen und Influencerinnen engagiert, darunter Alaa Balkhy, Lubna Hidayat, Latifa bint Saad und Marriam Mossalli.
"Das Heft erscheint nur in gedruckter Form und ist speziell für den saudi-arabischen Markt konzipiert", erklärt Chefredakteurin Olivia Phillipps, gegenüber der DW. "Es geht um den speziellen Geschmack und die Ästhetik von saudischen Konsumentinnen, und um einheimische Talente und bisher unbekannte Landschaften."
Arabisches Modeglossar
Mode-Pionierin Marriam Mossali will durch ihre Mitarbeit bei "Haper's Bazaar" auch dazu beitragen, Vorurteile und Stereotype rund um saudi-arabische Frauen auszuräumen. Die Gründerin der ersten Marketing-Agentur für Luxusfirmen im Land, "Niche Arabia"; war die erste arabische Modeexpertin, die von First Lady Michelle Obama ins Weiße Haus eingeladen wurde.
"Ich habe vor zehn Jahren meine eigene Firma gegründet und beobachtet, wie das Land sich weiter entwickelt und Fortschritte macht", sagt sie im DW-Gespräch. "Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Fachbegriffe der Modebranche aus einer anderen Sprache stammen", fügt sie hinzu. "Jetzt können wir uns ein eigenes arabisches Glossar zusammenstellen."
Unter der Abaya
Einzelne Veranstaltungen signalisieren, dass die Zeichen auf Veränderung stehen. So fand im Januar dieses Jahres in Riad eine privat organisierte Haute Couture Fashion Week vor gemischtem Publikum statt, bei dem auch Blicke unter die Abaya gewährt wurden.
Die Abaya ist ein traditionelles islamisches Überkleid, das von Frauen über der normalen Kleidung getragen wird, wenn sie das Haus verlassen. Sowohl offene Abayas, die Blicke auf Fußknöchel freigeben, als auch locker sitzende Gesichtsschleier und die gemeinsame Präsenz von Frauen und Männern im Publikum wären bis vor kurzem undenkbar gewesen.
Saudische Modedesigner standen bisher nur selten im internationalen Rampenlicht. Prominente Ausnahmen sind die Couturiers Mohammes Ashi und Mohammed Khoja. Ashis Abendroben wurden 2017 durch die US-amerikanische Filmregisseurin Ava Duvernay beim "Academy Award" bekannt.
Mode gegen Fahrverbot
Khojas Jacket "24 June 2018" der Marke "Hindamme" ist ein politisches Statement. Das Datum markiert den Tag, an dem Frauen in Saudi-Arabien die Erlaubnis erhielten, Auto zu fahren. Die Jacke wurde von dem britischen "Victoria and Albert Museum" für die Dauerausstellung erworben. Das V&A in London beherbergt die weltweit größte Sammlung von Kunstgewerbe und Design.
Die saudi-arabische Aktivistin Loujain al-Hathloul gehörte zu den Frauenrechtlerinnen im Land, die mehrfach gegen das Fahrverbot protestierten und deshalb auch mehrfach festgenommen wurden. Erst am 10. Februar dieses Jahres wurde sie von den Behörden freigelassen. Viele andere Frauenrechtlerinnen befinden sich weiterhin in Haft.
Menschenrechtsorganisationen stehen der Förderung der Modeindustrie samt Hochglanzmagazinen deshalb kritisch gegenüber. "Riad gibt Milliarden von Dollar für die Imagepflege des Landes aus und missachtet weiterhin grundlegende Menschenrechte", erklärte Ahmed Benchemsi, Nahost-Sprecher der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW).
Diese Imagepflege diene dazu, die internationale Aufmerksamkeit von den grausamen Menschenrechtsverletzungen Riads abzulenken. "Dazu gehören die Ermordung und Zerstückelung des Journalisten Jamal Khashoggi, die Verhaftung von Dissidenten, Folter, Entführungen und die Kriegsverbrechen im Jemen."
Bechemsis Schlussfolgerung: "Wie zahlreich und glanzvoll die Modeschauen auch sein mögen, sie werden die massiven Verstöße gegen Menschenrechte nicht übertünchen können."
Es bleibt abzuwarten, ob in den neuen Ausgaben auch kritische Themen abgehandelt werden. Bis jetzt ist nur eines sicher: Die neuen lokalen Magazine verfügen über einen außerordentlich vielversprechenden Markt.
Nach Angaben des saudi-arabischen Statistikamtes verfügt das Land mit seinen 35 Millionen Einwohnern über eine außergewöhnlich junge Bevölkerung. Zwei Drittel sind unter 35 Jahre alt und die Hälfte aller Universitätsabsolventen sind Frauen.
Der Text wurden aus dem englischen Original adaptiert.