Saudi-Arabien hofft auf das große Tourismus-Geschäft
2. Juli 2023Anfang Juni wurde ein bemerkenswerter Deal besiegelt: Saudi-Arabien und das US-Tourismusunternehmen Habitas unterzeichneten einen Kooperationsvertrag über umgerechnet 365 Millionen Euro.
Auf den ersten Blick wirkt die Zusammenarbeit überraschend: Habitas veranstaltet beispielsweise das sogenannte Burning-Man-Festival in der amerikanischen Wüste. Dort liebt man Trinken, Tanzen, experimentellen Drogenkonsum und freizügige Kleidung.
Saudi-Arabien hingegen wird von einer konservativen Königsfamilie regiert, duldet keine politische Opposition und versteht sich bei aller Modernisierung gleichwohl explizit als islamisches Land. In der Öffentlichkeit herrscht grundsätzlich Alkoholverbot. Zudem verhängt der Staat bei bestimmten Vergehen weiterhin die Todesstrafe.
Dennoch es gibt einen guten Grund für die Kooperation. Saudi-Arabien investiert Milliarden in seinen Tourismussektor. Das Land will den Beitrag des Tourismus zum Nationaleinkommen von derzeit drei Prozent auf zehn Prozent steigern. Zudem sollen in dem Sektor eine Million neuer Arbeitsplätze entstehen.
Weniger Öl, mehr Touristen?
Erst 2019 hat das ölreiche Königreich damit begonnen, internationalen Besuchern die Einreise zu erleichtern. Diese läuft über ein elektronisches Visum, das derzeit für umgerechnet 130 Euro zu erwerben ist. Bis dahin ließ das Land zumeist nur Geschäftsleute und Pilger einreisen.
"Es ist spannend zu beobachten, was dort passiert", sagt Markus Pillmayer, Professor für Tourismus an der Hochschule München, im Gespräch mit der DW. "Bis vor kurzem war Saudi-Arabien noch ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte." Allerdings sei es noch zu früh, um die Erfolgschancen der saudischen Tourismus-Pläne zu beurteilen, mit deren Hilfe - zusammen mit weiteren Maßnahmen - in Zukunft auch der erwartete Rückgang bei den Öl-Einnahmen mit ausgeglichen werden soll, auf denen bisher der Reichtum des Landes fußt.
Die Anstrengungen sind beachtlich. So hat der entsprechende Investitionsfonds einen Umfang von bis zu einer Billion US-Dollar. Zudem hat das Königreich Verträge mit einigen der größten Unternehmen in der Branche abgeschlossen, etwa Hilton, Hyatt und Accor. Eine neue Fluggesellschaft, Riyadh Air, soll 2025 den Betrieb aufnehmen.
Gleichzeitig mit dem Bau von Hotels und dem Kauf von Flugzeugen hat das Land auch seine sechs früher eher vernachlässigten UNESCO-Weltkulturerbestätten für größere Besucherzahlen aufbereitet. Weitere große Projekte sind in Planung. So etwa "Mukaab", ein gigantisches Unterhaltungs- und Einkaufszentrum am Stadtrand von Riad, sowie neue Resorts entlang der Küste des Roten Meeres. Zudem versucht sich das Land als Spielstätte für den Profisport, etwa Fußball und Golf, zu etablieren. Kritiker monieren, dass Saudi-Arabien "Sportswashing" mit Hilfe des Profisports betreibe, um von kontinuierlichen Menschenrechtsverletzungen im Lande abzulenken.
Der jahrelange Werbefeldzug im Bereich Tourismus zahlt sich derweil offenbar bereits aus. So berichtete der in London ansässige 'World Travel and Tourism Council' im vergangenen Jahr, Saudi-Arabien habe den am schnellsten wachsenden Tourismussektor in Nahost. Bis 2025 werde das Land rund 40 Prozent mehr internationale Besucher anziehen als das nahe gelegene, im Tourismus seit Jahren erfahrene Dubai.
Herausforderung Klimawandel
Allerdings sieht sich die Branche auch einigen Problemen gegenüber. "Es wurde sehr viel investiert. Die Pläne haben durchaus Erfolgschancen", sagt Justin Francis, Mitbegründer und Geschäftsführer des in Großbritannien ansässigen, auf verantwortungsbewusstes Reisen spezialisierten Veranstalters 'Responsible Travel'. "Allerdings bin ich noch nicht ganz überzeugt. Es wird sicherlich starken Widerstand geben".
So wird der Tourismussektor zunehmend durch den rasanten Klimawandel bedroht. Der Nahe Osten sei beispielsweise eine der vier am stärksten von Wasserknappheit betroffenen Regionen, heißt es in einem 2019 im Rahmen der "Annals of Tourism Research" veröffentlichten Papier. Knappes Wasser sei eines der größten Probleme Saudi-Arabiens. So verbraucht das Land riesige Mengen an Energie für den Betrieb von Entsalzungsanlagen. Angesichts der gewaltigen Nutzung der Grundwasserquellen ist es fraglich, wie sich die vielen Hotelschwimmbäder auf unschädliche Weise füllen lassen.
Auch das so genannte 'Red Sea Project', dessen mit eigenem Flughafen versehenes Luxusresort noch in diesem Jahr eröffnet werden soll, dürfte Naturschützern Kopfzerbrechen bereiten. Zwar rühmt sich das Projekt, ausschließlich auf erneuerbare Energien zu setzen und keine Abwässer ins Meer zu leiten. Nach Ansicht von Analysten, die die Pläne studierten, lassen diese jedoch zumindest mehrere Details und Fragen offen.
Habitas brüstet sich damit, sein bereits in Betrieb befindliches erstes Hotel in Saudi-Arabien nutze Sonnenenergie und verzichte auf Einwegplastik. Auf Bewertungsportalen wie Tripadvisor berichteten Gäste allerdings, im Hotel würden Kunststoff-ummantelte Teebeutel und Kaffeepads verwendet. Ebenso kritisierten sie das Fehlen öffentlicher Verkehrsmittel.
"Es gibt eine Menge Marketing-Hype - und damit Greenwashing", sagt Francis. "Es ist wichtig, Behauptungen über Nachhaltigkeit und verantwortungsvollen Tourismus gründlich zu hinterfragen. Denn der Massentourismus würde die Ressourcen - vor allem das Wasser - erheblich belasten."
Cocktails am Strand verboten?
Weitere Herausforderungen, die der erfolgreichen Entwicklung des Tourismus in Saudi-Arabien entgegen stünden, seien die Menschenrechtslage und die sehr konservative lokale Kultur, meint Reise-Experte Francis. " So schränkt Saudi-Arabien trotz einiger bahnbrechender Reformen immer noch die Rechte einheimischer Frauen ein und kriminalisiert Sex vor der Ehe sowie gleichgeschlechtliche Beziehungen. Nach der Öffnung für den Tourismus 2019 hat das Land einige Regeln zwar gelockert, jedoch überwiegend nur für ausländische Besucher.
Der Website der saudischen Tourismusbehörde zufolge immerhin sind alle Gäste willkommen, auch solche aus der LGBTQ-Szene, wurde dort auf Nachfrage von Interessierten versichert. "Unverheiratete Paare können sich eine Unterkunft teilen." Besucher sollten sich aber an die örtlichen Gepflogenheiten halten, empfiehlt die Seite.
Zudem hoffen internationale Reiseveranstalter auf eine Lockerung der Alkoholvorschriften in privaten Ferienanlagen. Doch alkoholische Getränke sind bisher noch verboten und es gibt weitere Beschränkungen. So zählt eine saudische Informationsseite im Internet mögliche Geldstrafen für unangemessene Kleidung oder anstößiges Verhalten in der Öffentlichkeit auf. Gemeint sind etwa öffentliche Zuneigungsbekundungen wie Händchenhalten. Zugleich aber hat der Staat insbesondere den Bürgerinnen des Landes in den vergangenen Jahren erhebliche Freiheiten zugestanden, die lange Zeit völlig undenkbar schienen.
Doch es gibt auch Gründe für das anhaltend negative Image des Landes vor allem im Westen. Als Influencer im Jahr 2019 begannen, in den sozialen Medien Bilder über den saudischen Tourismus zu posten, äußerten sich einige Follower kritisch. "Die saudische Regierung hat im April an einem einzigen Tag 37 Menschen hingerichtet", schrieb ein Kommentator auf dem Instagram-Account der in Dubai lebenden Musikerin Lana Rose. "Schande über Euch, dass ihr sie normalisiert."
Ethisches Dilemma
Andere sehen dies zuversichtlicher: "Nur wenige Länder können sich einer makellosen Bilanz von Menschenrechten über fossile Brennstoffe bis hin zum Tierschutz rühmen", sagt der alternative Reise-Unternehmer Justin Francis. "Aber Saudi-Arabien ist ein besonders kontroverses Reiseziel und stellt Reisende vor ein ethisches Dilemma."
Der saudische Tourismus könnte sich aber diversifizieren, hofft Francis: "Weg von den massiven Luxus-Golf- und Resort-Urlauben, stattdessen Konzentration auf die Natur- und Kulturschätze des Landes, und zwar auf verantwortungsvolle Art und Weise." Diese Hoffnung scheine jedoch "recht weit von dem derzeit angepriesenen Modell entfernt", räumt er ein.
Das sieht auch der deutsche Tourismus-Professor Pillmayer so. Er würde es begrüßen, wenn sich Saudi-Arabien ernsthaft um die Einhaltung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung bemühen würde, zu denen auch die Menschenrechte gehören. "Die derzeitige Tendenz - höher, schneller, weiter - sollte man hingegen kritisch sehen."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.