Saudi-Arabien und der Abschied vom Öl
25. April 2016Die Hadsch, die jährliche Pilgerreise nach Mekka, ist nicht nur eine fromme Angelegenheit, sondern auch ein Geschäft. Reisebüros, Fluglinien, Hotels, Restaurants und längst auch Kommunikationsunternehmen verdienen an den Millionen Gläubigen, die Jahr für Jahr zu den heiligen Stätten ihres Glaubens reisen. Im Jahr 2012 kostete zum Beispiel allein ein Hotelzimmer nahe der Zentralmoschee um die 700 Dollar pro Nacht.
Noch teurer sind die Luxushotels, vorbehalten denen, die auch während der besinnlichen Tage auf gewohnten Komfort nicht verzichten möchten. Selbst einfache Souvenirs seien ausgesprochen teuer, berichtet die BBC. So etwa Gebetsmatten - und zwar auch dann, wenn sie in China produziert würden.
Für Saudi-Arabien lohnt sich die Glaubensstärke der Muslime: Im Jahr 2012 spülte die Hadsch rund zehn Milliarden US-Dollar in die Kassen, teilte die Handelskammer des Königreichs mit.
Saudi-Arabien könnte aber noch viel mehr Reisende beherbergen. Darum will sich das Königreich jetzt auch anderen Touristen öffnen – zumindest solchen, die entweder Araber oder Muslime oder beides in einem sind. So kündigt es Kronprinz Mohammed Bin Salman an, als er am Montag Einzelheiten jener "Vision 2030" vorstellte, mit der sich das Königreich auf die Zeit nach "Peak Oil" vorbereitet - die Ära also, in der die Ölvorräte sich ihrem Ende neigen und das Land auf andere Einkünfte angewiesen ist. Etwa die aus dem Tourismus, der freilich nur ein vergleichsweise kleiner Teil des nun verkündeten Reformprogramms ist.
Abhängig vom Öl
"Wir sind in Saudi-Arabien abhängig vom Erdöl geworden", erklärte Prinz Mohammed bin Salman am Montag. "Das ist gefährlich und hat in den vergangenen Jahren die Entwicklung in vielen anderen Sparten behindert." Damit solle nun Schluss sein, so der Prinz. "Die Vision 2030 ist ein Wegweiser für unsere Entwicklung und unsere ökonomischen Ziele".
Wie wichtig es für das Königreich ist, sich unabhängig vom Öl zu machen, zeigte sich in den vergangenen Monaten. Seit dem Sommer 2014 fiel der Preis für Rohöl dramatisch: von knapp 100 US-Dollar auf nur noch 35 pro Barrel. Für ein Land, das 80 Prozent seiner Einnahmen über das Erdöl generiert, ist das eine dramatische Entwicklung. Tatsächlich verzeichnete das Land bereits im Jahr 2014 ein Haushaltsdefizit.
"Obwohl das Königreich hohe Defizite über mehrere Jahre finanzieren kann, indem es sein beträchtlichen Auslandsreserven anzapft oder sich Geld leiht, wird es für den Fall, dass der Ölpreis auch im nächsten Jahr niedrig bleibt, wahrscheinlich beginnen, seine Ausgaben zu reduzieren", schreibt das Forbes-Magazin.
Vision 2030
Langfristig aber muss eine ganz neue Strategie her. "Das Land kann sich angesichts eines sich ändernden globalen Energiemarkts und der demographischen Veränderungen nicht länger auf Erdöl-Einnahmen und öffentliche Investitionen verlassen, um Wachstum zu erzeugen", schreibt das Beratungsunternehmen McKinsey in einer Studie.
Der Arbeitsmarkt werde in Zukunft erheblich mehr Absolventen aufnehmen müssen. Gelinge es dem Land aber, sich umzustellen, könne seine Volkswirtschaft wachsen, und zwar erheblich. So könne das Bruttoinlandsprodukt im günstigsten Fall von derzeit 800 Milliarden US-Dollar auf 1600 Milliarden wachsen, sich also verdoppeln.
Die Weichen dafür soll nun die Vision "2030" stellen. Saudi-Arabien könne bis 2020 ohne Öl auskommen, erklärte der Prinz. Um das Ziel zu erreichen, soll ein kleiner Teil – weniger als fünf Prozent – des staatseigenen Erdölunternehmens Saudi Aramco an Investoren verkauft werden. Aramco habe einen Wert zwischen 2 und 2,5 Billionen US-Dollar, erklärte der Prinz. "Selbst wenn wir nur ein Prozent von Aramco verkaufen würden, wäre das die bedeutendste Erstemision weltweit", so Mohammed Bin Salman.
Größter Investmentfonds der Welt
Zugleich will das Königreich einen zwei Billionen US-Dollar schweren Investitionsfonds auflegen. Dieser werde zehn Prozent der weltweiten Investitionskraft besitzen, sagte Mohammed bin Salman.
Parallel dazu muss sich das Land aber auch die Struktur seiner Wirtschaft reformieren, schreibt der Internationale Währungsfonds in einer Studie. Die Diversifizierung sei begrenzt. "Saudi-Arabien hat seit 2008 über 2,7 Millionen neue Jobs geschaffen. In eine Million davon traten saudische Staatsbürger (und nicht die Gastarbeiter des Landes, Anm.d. Red.) ein. Doch die meisten dieser Jobs waren im Öffentlichen Sektor", schreibt der IWF.
Auf lange Sicht müsse aber der private Sektor gestärkt werden, heißt es beim IWF. Dazu empfiehlt er Reformen, vor allem bei der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt, der Infrastruktur und der Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen.
Umsetzung nicht ausgeschlossen
Inwiefern Saudi-Arabien in der Lage ist, die angestrebten Reformen umzusetzen, darüber gehen die Einschätzungen auseinander. Das Land stehe erheblichen Problemen gegenüber, schreibt die Zeitschrift The Economist. "Eine ist die schwache Fähigkeit des Öffentlichen Dienstes, solche Ambitionen umzusetzen. Eine andere ist die Macht der weitläufigen königlichen Familie sowie der ultraorthodoxen Kleriker, die anderen Reformen zu blockieren, die es braucht, um Investoren anziehen: den Ausbau des Privatsektors, die Stärkung von Transparenz und Rechtsstaatlichkeit sowie die Festigung der Stellung der Frauen."
Optimistischer hingegen ist der Internationale Währungsfonds. Saudi-Arabien habe bisherige Reformen vergleichsweise gut umgesetzt. Mit angemessener Nüchternheit umgesetzt, könnte "Vision 2030" Wirklichkeit werden.