Saudi-Arabien und El Kaida
20. Juni 2004
Auf der Suche nach den Mördern der in Saudi-Arabien enthaupteten US-Geisel Paul Johnson haben Sicherheitskräfte den regionalen El-Kaida-Führer sowie drei weitere Extremisten getötet: Abdulasis Issa Abdul Mohsin el Mukrin war das meistgesuchte El Kaida-Mitglied in Saudi-Arabien. Beobachter sprachen von einem wichtigen Erfolg im Kampf den Terrorismus. "Die Regierung ist stark und wird den Feind vernichten und das Land von ihm reinigen", erklärte Innenminister Prinz Najef.
Doch Kronprinz Abdullah bin Abdelasis, der das Land seit der Erkrankung von König Fahd regiert, lässt ein Hintertürchen offen. "Wir sagen dieser vom rechten Weg abgekommenen Gruppe und anderen, dass sie, wenn sie nicht umkehren, das gleiche Schicksal erwartet [wie die in Riad getöteten vier Terroristen]", erklärte Abdullah bei einem Treffen mit Würdenträgern der Provinzen Nadschan und El Taif. Wer nicht in den Schoß der Gesellschaft zurückkehre, den erwarte ein fürchterliches Schicksal.
Staatsdoktrin ummantelt Fanatismus
Was die Lage in Saudi-Arabien schwieriger macht als in anderen arabischen Staaten, die auch mit Terrorismus zu kämpfen haben, ist die Tatsache, dass der ideologische Graben zwischen dem Terrornetzwerk El Kaida und der offiziellen Staatsdoktrin im islamischen Königreich weniger groß ist als andernorts. Zwar lehnt auch das saudische Herrscherhaus Anschläge auf Ausländer strikt ab und der Mufti des Königreichs, Scheich Abdelasis bin Abdullah Al Scheich, nennt die Enthauptung des Amerikaners einen "kriminellen Akt, der von niemandem verübt werden konnte, der auch nur einen Funken (islamische) Frömmigkeit im Herzen hat". Doch die Unterteilung der Welt in "Ungläubige" und rechtgläubige Muslime, die sich an die puritanische Islam-Auslegung des Wahabismus hält, ist schon lange Zeit fester Bestandteil des offiziellen religiösen Lebens und Teil des saudi-arabischen Selbstverständnisses.
Ideologische Gratwanderung
Die ideologische Nähe hat das Herrscherhaus zwar nie öffentlich eingeräumt. Doch könnte sie nach Einschätzung westlicher Beobachter der Grund dafür sein, dass die Monarchie - anstatt sofort auf harte Konfrontation zu setzen - jahrelang auf diskrete Art und Weise versucht hat, ihre "vom rechten Weg abgekommenen Landeskinder" mit religiösen Argumenten und Versprechungen aus dem extremistischen Untergrund zurückzuholen. Auch der Mufti klingt fast ein bisschen enttäuscht, dass die Jungen die Lehren der Religionsgelehrten falsch interpretiert haben. Die Enthauptung des Amerikaners sei "eine Aggression und ein Verrat am Vertrauen und an den Traditionen", erklärte er.
Das Vorgehen der Terroristen
Nach anfänglichen Dementis bestätigte die El-Kaida-Gruppe in Saudi-Arabien den Tod von Abdulasis Issa Abdul Mohsin el Mukrin und der drei anderen Mitglieder, zeigte sich aber unbeeindruckt. "Die Mudschahedin setzen den Heiligen Krieg fort, den sie Gott geschworen haben. Die Tötung ihrer Brüder wird ihre Entschlossenheit nicht schwächen, sondern nur ihren Einsatz und ihre Hingabe erhöhen", hieß es in einer im Internet verbreiteten Erklärung. Mukrin galt als intelligenter und brutaler Taktiker, der sowohl Autobombenanschläge als auch gezielte Angriffe auf einzelne Ausländer plante. Er wurde dem Vernehmen nach in Afghanistan ausgebildet und kämpfte in Bosnien und Algerien.
Über das Internet ließ die El-Kaida-Zelle verbreiten, wie sie Johnson gekidnappt hatte und warum: Sympathisanten innerhalb der saudi-arabischen Sicherheitskräfte hätten den El-Kaida-Leuten Polizeiuniformen und Fahrzeuge zur Verfügung gestellt und sie bei Johnsons Entführung unterstützt. So hätten sie einen falschen Kontrollposten errichten können, an dem Johnson am 12. Juni gestoppt worden sei. Die Extremisten hatten mit der Ermordung gedroht, falls nicht alle El-Kaida-Häftlinge in Saudi-Arabien bis zum Abend des 18. Juni 2004 freigelassen würden. Die Entscheidung zur Tötung der Geisel sei gefallen, nachdem ein Regierungsberater erklärt habe, Verhandlungen kämen nicht in Frage. Johnson sei entführt worden, weil sein Arbeitgeber, der Rüstungskonzern Lockheed Martin, den Apache-Hubschrauber entwickelt, mit dem Muslime in Palästina und Afghanistan angegriffen würden. (arn)