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Meinung: S04 muss Zeichen der Zeit erkennen

10. Januar 2021

Der FC Schalke 04 hat den Negativrekord von Tasmania Berlin gerade noch einmal abgewendet. Doch unabhängig vom Sieg gegen Hoffenheim bleibt die Lage auf Schalke bedenklich. Vieles liegt im Argen, meint Jörg Strohschein.

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Deutschland Bundesliga Schalke 04
Bild: Ulrich Hufnagel/dpa/picture alliance

Die größte Peinlichkeit ist gerade noch einmal vermieden worden. Der FC Schalke 04 hat nach 30 sieglosen Spielen in der Bundesliga tatsächlich mal wieder gewonnen. Das 4:0 gegen 1899 Hoffenheim wirkte wie eine echte Befreiung. Monatelang hatte der Negativrekord von Tasmania Berlin von 31 sieglosen Partien in Folge wie ein Damoklesschwert über den Schalkern gehangen. Dieser Samstag war daher ein schöner Tag für alle Schalker. Allerdings muss man 24 Stunden später die Euphorie wieder beiseite lassen und die Augen auf die Realität richten. Die Lage des stolzen Ruhrgebietsklubs ist weiterhin dramatisch - trotz des kleinen Hoffnungsschimmers.

Denn bereits vor dem 15. Bundesliga-Spieltag hatten die Schalker die zweifelhafte Bestmarke aufgestellt, das Team in der Bundesliga-Geschichte zu sein, das den längsten Zeitraum ohne ein gewonnenes Spiel hinter sich gebracht hat. Und auch wenn die endgültige Demütigung ausgeblieben ist und sich die Tasmanen aus Berlin darüber freuen, dass sie ihren identitätsstiftenden Rekord behalten dürfen, so muss dieser Samstag dennoch ein Mahnmal für den FC Schalke 04 sein:  

Eitelkeiten und veraltete Führungsstrukturen

Kein Verein kann es sich leisten, dass sich die Verantwortlichen nur um sich selbst drehen und persönliche Eitelkeiten in den Vordergrund stellen. In einem mittlerweile überaus professionellen, bundesweiten Umfeld ist es nicht mehr möglich, dass sich die sportliche Verantwortung nur auf eine Person konzentriert. Es muss intern ein offener und kritischer Umgang miteinander gepflegt werden, der als Hilfe und nicht als Gefahr angesehen werden sollte.

DW Kommentarbild Jörg Strohschein
DW-Redakteur Jörg Strohschein

Bei den Schalkern ist das alles nicht der Fall. Vielmehr hat sich die Gelsenkirchener Geschäftsstelle in den vergangenen Jahren von einem familienähnlich geführten Betrieb zu einer Art Haifischbecken entwickelt, in dem jeder genau auf seine Worte achtet, wie einige Angestellte hinter vorgehaltener Hand immer wieder berichten.  

Hinzu kommt, dass ein Verein, der einem mittelständischen Unternehmen ähnelt, von kompetenten, unabhängigen Gremien geführt und beaufsichtigt werden muss - und nicht nahezu allein auf das Wohl und Wehe eines einzigen, wohlhabenden Mannes wie Clemens Tönnies konzentriert sein darf. Diese Schalker Eindimensionalität hat sich im Laufe der Jahre in einem sich stetig verändernden Bundesliga-Umfeld mit zunehmend modernen Unternehmensstrukturen vollständig überholt. Dies nicht erkannt zu haben, ist einer der größten Fehler, die dem Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden anzukreiden sind. 

Viele Fehleinschätzungen

Besonders durchgeschlagen hat der schleichende Schalker Abwärtsprozess 2016 bis 2019 unter Sportvorstand Christian Heidel, der keinerlei Erfahrung in der Zusammenstellung eines Kaders für ein Spitzenteam hatte und durchschnittlichen Spielern viel zu hohe Gehälter zahlte. Der vor allem auf sich selbst vertraute und viel zu lange nicht merkte, dass er mit seiner Aufgabe in dem ambitionierten Klub heillos überfordert war. Und den auch niemand an seinen (Fehl-) Entscheidungen hinderte.

Doch auch Heidels Nachfolger Jochen Schneider konnte das Abrutschen nicht stoppen. Auch wenn er aufgrund der hohen, wenig nachvollziehbaren Investitionen seines Vorgängers kaum noch finanziellen Spielraum hatte, fehlte auch Schneider ein glückliches Händchen bei seinen Personalentscheidungen: sowohl bei Trainer- als auch bei Spielerverpflichtungen. Dazu drücken den Verein 240 Millionen Euro Verbindlichkeiten - eine gigantische Summe, die für die Zukunft nichts Gutes verheißt. 

Sportliche Kompetenz gefragt 

Der FC Schalke 04 wirkt in seiner derzeitigen Verfassung wie ein Tanker, der führungslos in schwerer Seenot trudelt. Der klare Sieg gegen Hoffenheim und die Art und Weise, wie er zustande kam, muss jetzt eine Impulswirkung entwickeln, damit der drohende Untergang doch noch abgewendet werden kann. Wenn die Schalker Mannschaft trotz all ihrer Defizite schafft, wieder in die Spur zu kommen und den Abstieg nach 33 Jahren in der Bundesliga zu verhindern, werden die TV-Gelder und irgendwann, nach der Rückkehr der Fans in die Stadien, auch die Zuschauereinnahmen wieder in altbekannter Größenordnung auf die Vereinskonten fließen. Gelingt das nicht, steht der Klub buchstäblich vor dem Aus.  

Doch auch wenn es gelingt, die Klasse und damit den finanziellen Status quo zu halten, müssen in Zukunft neue Verantwortliche mit ausgewiesener sportlicher Kompetenz das Geld verwalten und investieren. Auf diesem Feld haben die Schalker den größten Nachholbedarf. Bis dahin heißt es für die rund 160.000 Vereinsmitglieder und alle Schalke-Fans hierzulande und weltweit: Sie müssen weiterhin um ihren Klub zittern.