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Schallende Ohrfeige für das Regime

8. Oktober 2010

Das norwegische Nobelkomitee vergibt den Friedensnobelpreis dieses Jahr an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo. Damit hat das Komitee Mut bewiesen, meint Matthias von Hein in seinem Kommentar.

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Bild: DW

Einen Anruf vom Nobelkomitee wird Liu Xiaobo nicht erhalten haben und Sektkorken werden erst recht nicht geknallt haben nach der Verkündung in Oslo. Denn der Friedensnobelpreisträger 2010 sitzt seit knapp zwei Jahren in Haft. 450 Kilometer nordöstlich von Peking soll er nach dem Willen eines chinesischen Gerichts elf Jahre lang für angebliche "Subversion" büßen. Sein Verbrechen: Er hatte die "Charta 08" mit initiiert, ein Manifest für umfassende politische Reformen – inklusive Gewaltenteilung, freier Meinungsäußerung und fairen Wettbewerbs verschiedener politischer Parteien. Liu hatte schon mehrfach Bekanntschaft mit chinesischen Gefängnissen gemacht, ließ sich aber nicht einschüchtern. Sein furchtloses Eintreten für Bürgerrechte machte ihn für Pekings Autokraten zum Staatsfeind Nummer 1.

Jetzt ist die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo eine schallende Ohrfeige für das kommunistische Regime. Umso mehr, als Peking im Vorfeld massiven Druck auf das Nobelkomitee ausgeübt hat, den Preis nicht an Liu zu vergeben. Gedroht wurde sogar mit einer Verschlechterung der Beziehungen zu Norwegen. Mit der Preisverleihung an Liu hat das Nobelkomitee jetzt seinen Anspruch auf Unabhängigkeit in seinen Entscheidungen unterstrichen.

Schon einmal hatte das Nobelkomitee China verärgert: als es 1989 den Friedensnobelpreis an den Dalai Lama vergab. China genießt heute allerdings weit größeren Einfluss als vor 20 Jahren. Gerade erst hat es sich als Stabilitätsanker in der Finanzkrise erwiesen. Der wirtschaftliche Erfolg des Landes lässt für manche das "chinesische Modell" einer autoritären Führung gepaart mit Turbokapitalismus als attraktive Alternative zum westlichen Demokratiemodell erscheinen. Die Haft von Liu Xiaobo wirft aber ein Schlaglicht auf die "Kollateralschäden", die dieses Regime in Kauf zu nehmen gewillt ist, um statt echter Stabilität Friedhofsruhe zu schaffen.

Natürlich wird die chinesische Führung schäumen vor Wut über die Entscheidung von Oslo. Aber dann wird sich auch in Peking wieder die Einsicht durchsetzen, dass nicht nur der Westen verstärkt auf China angewiesen ist, sondern China genauso auf den Westen.

An den Haftbedingungen für den Friedensnobelpreisträger wird sich vermutlich leider nichts ändern. "Gesichtswahrung" aus chinesischer Sicht bedeutet hier: Keinerlei Eingeständnis, dass die Verurteilung Lius ein Unrecht sein könnte. Denn es stimmt, was am Ende der "Charta 08" steht. Wörtlich heißt es da: "Es ist bedauerlich, dass sich allein China unter den Großmächten der heutigen Welt noch im Zustand eines autoritären politischen Systems befindet und aus diesem Grund fortwährend Menschenrechtskatastrophen und soziale Krisen produziert." Das ist nicht nur bedauerlich für China und die Welt, sondern besonders auch für Liu Xiaobo.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Martin Schrader