Scharfe Kritik an EU-Empfang für Karimow
25. Januar 2011Belgiens Regierung hatte ein bilaterales Treffen abgelehnt - EU und Nato dagegen schickten ihre allerhöchsten Vertreter vor: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und NATO-Generalsekretär Rasmussen empfingen am Montag (24.01.2011) in Brüssel Usbekistans Staatschef Islam Karimow. Nach einem rund einstündigen Treffen mit Barroso, an dem zeitweise auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger teilnahm, traf Karimow mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zusammen. Eine Pressekonferenz gab es im Anschluss an die Treffen mit Barroso und Rasmussen nicht – bereits im Vorfeld hatten Organisationen wie "Reporter ohne Grenzen" massive Kritik an dem Empfang für einen der berüchtigtsten Diktatoren der Welt geübt.
Geostrategisches Filetstück
Die EU-Kommission hatte das Treffen unter anderem mit dem Argument gerechtfertigt, das Thema Menschenrechte stünde ganz oben auf der Tagesordnung. So habe Barroso auf Reformen im autokratisch regierten Usbekistan gedrängt. Grundsätzlich sei die Europäische Union zu einem Ausbau der Beziehungen bereit, dies hänge aber strikt davon ab, ob das zentralasiatische Land die Demokratisierung und die Achtung der Menschenrechte voranbringe, teilte die Kommission am Montag nach der Begegnung mit. Der Kommissionspräsident habe außerdem die Freilassung politischer Häftlinge verlangt. Das Gespräch sei sehr offen gewesen, hieß es. Karimow habe zugesagt, demokratische Reformen in seinem Land voranzutreiben.
Beide Seiten unterzeichneten am Montag in Brüssel zudem eine Absichtserklärung, in Zukunft im Energiebereich enger zusammenzuarbeiten. Konkrete Energielieferungen wurden der Kommission zufolge aber nicht vereinbart. Die gestrige Erklärung zeigt indes die wirtschaftliche und geostrategische Bedeutung Usbekistans für Europa. Militärisch spielt das 28-Milionen-Einwohnerland eine wichtige strategische Rolle beim Afghanistan-Einsatz. Taschkent bietet dem internationalen Militärbündnis eine Transitroute von Usbekistan nach Afghanistan an.
Experte: "Hilflose EU-Politik gegenüber Usbekistan"
Politiker und Menschenrechtsorganisationen äußerten am Montag harsche Kritik an dem Empfang Karimows durch die EU. Ein Sprecher der in Brüssel ansässigen "International Crisis Group" kritisierte, mit dem Treffen werde das usbekische Regime legitimiert. Der Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sagte der Online-Ausgabe des "Handelsblatts", die EU müsse "Diktatoren wie Karimow, die die Menschenrechte in ihrem Land mit Füßen treten, unmissverständlich klarmachen, dass sie in Brüssel nicht erwünscht sind".
Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn bezeichnet gegenüber DW-WORLD.DE das gestrige Brüssler Treffen etwas diplomatischer als "nicht notwendig". Man müsse sich fragen, so der Zentralasien-Experte, welche Signale das Treffen an die fragilen oppositionellen Strukturen in Usbekistan sende. Insgesamt sei die Usbekistanpolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten "von Hilflosigkeit gekennzeichnet", glaubt der Politologe Grävingholt.
Die Schatten von Andischan
Diese Hilflosigkeit kreist um die spätestens seit 2005 nicht beantwortete Gretchenfrage, wie man es mit dem Regime in Taschkent hält. Nach dem Massaker im ostusbekischen Andischan, bei dem im Mai 2005 Menschenrechtsgruppen zufolge bis zu tausend Menschen getötet wurden, hatte die EU weitreichende Sanktionen gegen die Karimow-Regierung verhängt. 2009 hoben die EU-Länder das Waffenembargo wieder auf. Seitdem setzt Brüssel auf einen "Wandel durch Annäherung", und auch in Berlin verfolgt man gegenüber Taschkent eine pragmatische Linie.
Für Jörn Grävingholt kam die Aufhebung der Sanktionen damals überraschend. Einen handfesten Grund für das Entgegenkommen der EU, kann der Politologe nicht ausmachen. Denn das Karimow-Regime zeigte sich auch in den letzten Jahren in Menschenrechtsfragen kaum konziliant. Für Grävingholt könne der einzige Grund für die Aufhebung der ohnehin halbherzigen Sanktionen in der Einsicht gelegen haben, dass sie völlig folgenlos geblieben sind.
EU will Gas aus der kaspischen Region
Unterdessen verkündete EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Dienstag (25.01.2011) in Brüssel, die EU werde innerhalb der nächsten "zwei bis drei Jahre" Gas aus der Region um das kaspische Meer beziehen. Die Gewährleistung dieses "südlichen Energie-Korridors" soll Europa unabhängiger von russischen Energie-Lieferungen machen. Dafür hatte Oettinger Anfang Januar 2011 Gespräche mit den Regierungen von Aserbaidschan und Usbekistan geführt. Am Montag konnte der EU-Kommissar offenbar nun auch Usebekistans Staatschef für das geplante Pipeline-Projekt gewinnen.
Autor: Sven Töniges (mit dpa und ap)
Redaktion: Silke Ballweg