Ägypten: Touristen bleiben aus
22. November 2015Es ist ein milder Abend in Scharm el Scheich. Ali überprüft seinen kleinen Laden. In den Regalen reihen sich golden schimmernde Plastikpyramiden an angestaubten Parfümflaschen. Am späten Abend werde er einen Bus zu seiner Familie nach Kairo nehmen, erzählt Ali mit angespannter Stimme. Er sei traurig über diese Entscheidung, aber er habe momentan keine Wahl. Der 29-Jährige hat zwei Kinder und in den letzten zwei Wochen nicht ein einziges Souvenir verkauft. Nach zwei Jahren in Scharm el Scheich kann er sich das Leben hier nun nicht mehr leisten.
Ali ist einer von vielen, die dem Roten Meer den Rücken kehren: Tauchlehrer, Kellner, Bademeister - sie alle leiden unter den Folgen des Absturzes einer russischen Passagiermaschine am 31. Oktober. Insgesamt 224 Menschen kamen kurz nach dem Start der Maschine in Scharm el Scheich ums Leben.
Der "Islamische Staat" bekannte sich zu den Anschlägen. Demnach hätten die Attentäter eine Bombe in einer Getränkedose mit an Board geschmuggelt und gezündet. Großbritannien und Russland strichen danach alle Flüge nach Scharm el Scheich. Beide Nationen stellen gemeinsam den Großteil der Touristen. Nach längerem Zögern gehen nun auch westliche Geheimdienste von einem Bombenattentat aus. So landen auf der einst sehr belebten Rollbahn des Flughafens momentan nur noch vereinzelt Maschinen.
Verlassene Strände, unsichere Zukunft
Scharm el Scheich steht für Luxus, schicke Hotelkomplexe, Restaurants und Einkaufszentren. Doch der Absturz der Maschine hat das Leben in der Stadt am Roten Meer verändert. Jeder hier spricht von dem wohl schlimmsten Rückgang des Tourismus innerhalb der letzten zehn Jahre.
Die sonst überlaufenen Strände wirken verlassen. Ein Hotelbesitzer erzählt, dass er gerade einmal 45 Gäste habe, das Hotel aber für 600 Touristen ausgelegt sei. Im Hafen döst ein gelangweilt wirkender Besitzer eines kleinen Getränkestandes vor sich hin. Die Boote, die sonst Touristen zu Schnorchel- und Tauchtouren auf das Meer bringen, dümpeln auf dem Wasser herum.
Am Ufer steht Ramy Youssry. Der 37-Jährige ist vom Leben und Arbeiten unter der Sonne gut gebräunt. Sein Tauchgeschäft könne er nur noch maximal drei Monate unter diesen Bedingungen weiterführen, erzählt er. "Um ehrlich zu sein, weiß ich wirklich nicht, was danach geschehen wird."
Während es seinen zwei jungen Töchtern gefällt, dass ihr Vater nun häufiger daheim ist, macht sich Youssry große Sorgen. Für die sonnenhungrigen Nordeuropäer und Russen ist eigentlich momentan Hauptsaison. Doch statt Umsatz macht Youssry Verlust. Die Hälfte seiner Angestellten musste er in verlängerten Urlaub schicken, dennoch verliert er rund 600 Dollar (umgerechnet 560 Euro) am Tag durch die laufenden Kosten. Er könne nur darauf hoffen, dass die Touristen wieder zurückkommen und die Erinnerungen an das Flugzeugunglück wieder verblassen.
Kann es die Regierung richten?
Seit dem Ende der jahrzehntelangen Herrschaft von Hosni Mubarak im Jahr 2011 hat das Land eine Phase politischer und wirtschaftlicher Instabilität erlebt. Für den ägyptischen Staat sind die Devisen aus dem Tourismusgeschäft existenziell. Deshalb versucht die Regierung mit aller Kraft, diesem Wirtschaftszweig wieder auf die Beine zu helfen.
Auf einer schillernden VIP-Veranstaltung findet der Gouverneur des südlichen Sinai deutliche Worte: Es werde alles getan, um eine positive Botschaft in die Welt zu senden, so Khaled Fouda. "Wir arbeiten sehr eng mit unseren Freunden zusammen, um die Sicherheit am Flughafen zu verbessern." Die Maßnahmen würden eine viel engere Kooperation mit den Verbündeten umfassen. Dazu gehörten beispielsweise Fortbildungen für Sicherheitspersonal.
Die Regierung hat eine PR-Kampagne außerhalb des Landes initiiert. So wurde eine Delegation aus Saudi-Arabien nach Scharm el Scheich eingeladen. Auch soll der inländische Tourismus angekurbelt werden.
Angst um Ägyptens Zukunft
Laut den lokalen Tourismusorganisatoren sind das alles Notlösungen, die die Industrie erst mal über Wasser halten soll, bis die Flüge wieder aufgenommen werden und die Touristen zurückkehren.
Sciavetia Bruha ist eine fröhliche Italienerin. Die Frau muss lächeln, als sie den Blick über das türkisfarbene Meer schweifen lässt. Das Flugzeug aus Italien sei beinahe leer gewesen, aber sie habe keine Angst. "Warum sollte ich mir auch Sorgen machen? Es ist so schön hier, die Menschen sind freundlich und das Wetter ist perfekt." Sie fühle sich sehr sicher und ihre Freundin stimmt ihr mit einem Kopfnicken zu.
Ali betet dafür, dass mehr Ausländer wie Sciavetia Bruha ihre Ängste ablegen. So kann er vielleicht auch eines Tages zu seinem Souvenirladen zurück. Vor dem Absturz sei alles wirklich gut gewesen. "Menschen aus der ganzen Welt sind zu mir gekommen." Seine Augen wandern etwas verloren durch den kleinen Verkaufsraum. "Jetzt aber habe ich Angst um die Zukunft meiner Kinder." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Und um Ägyptens Zukunft."
Mitarbeit: Heba Farouk Mahfouz