Schiffbrüchige im Mittelmeer: Private Rettung statt EU-Hilfe
28. September 2023Im Juli 2023 waren nach Erkenntnissen der EU-Grundrechteagentur (FRA) und der Betreiber selbst 16 größere und kleinere Schiffe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor allem im westlichen und mittleren Mittelmeer auf See, um Schiffbrüchige zu retten. Die Zahl ändert sich jedoch oft, da Behörden in Malta, Italien oder Griechenland, Schiffe in Häfen für Inspektionen und technische Kontrollen festsetzen oder sie wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Einwanderungsrecht beschlagnahmen. Die rechtsextreme italienische Regierung verlangt zum Beispiel seit einigen Monaten, dass die Rettungsschiffe jeweils nur die Insassen eines Bootes aufnehmen dürfen und dann sofort einen Hafen ansteuern müssen, der oftmals weit entfernt vom eigentlichen Einsatzgebiet zugewiesen wird. Dieses Vorgehen verringert die Kapazitäten und erhöht die Kosten zum Bespiel für Treibstoff, beklagen die Betreiber, die NGOs.
Schwerpunkt Deutschland
Die größte Zahl von Schiffen wird von sechs privaten Hilfsorganisationen betrieben, die in Deutschland ihren Sitz haben. Die größte von ihnen ist Sea-Watch e. V. aus Berlin mit einem Jahresetat von rund 12 Millionen Euro. Die Schiffe fahren allerdings teilweise unter ausländischen Flaggen. Hinzu kommen drei spanische NGOs, wie zum Beispiel Open Arms aus Barcelona. Die in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz registrierte Organisation SOS Méditerranée lässt die "Ocean Viking" im Mittelmeer kreuzen. Die niederländische Sektion der internationalen Organisation Ärzte ohne Grenzen setzt die "Geo Barent" für Rettungsaktionen ein. In Italien, Hauptzielland der Migranten, die die Reise über das Meer wagen, gibt es nur zwei kleinere NGOs, Saving Humans und ResQpeople. Sie haben das Schiff "Mare Jonio" im Einsatz.
Private Vereine statt staatlicher Rettung
Die meisten Hilfsorganisationen sind als gemeinnützige Vereine organisiert und finanzieren sich nach eigenen Angaben ausschließlich über Spenden. Diese Vereine sind oft aus privaten Initiativen nach Schiffskatastrophen im Mittelmeer in den Jahren 2015 bis 2018 entstanden. Anlass zur Gründung war auch das Ende der Seenotrettungs-Operation Mare Nostrum der italienischen Marine im Jahr 2014. Die Marine hatte in zwei Jahren rund 150.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Die Operation galt in Italien dann aber als Anreiz für immer mehr Migranten, in die Boote zu steigen, und als zu teuer. Danach organisierte die Europäische Union vier Missionen von Triton über Themis und Poseidon bis zur Operation Sophia. Sie alle hatten als Aufgabe, Schlepperbanden zu stellen, aber nicht mehr die systematische Rettung von Schiffbrüchigen. Trotzdem haben alle EU-Operationen von 2015 bis heute nach Angaben der EU-Kommission 615.000 Menschen aus dem Meer geholt. Gleichzeitig wurden 25.000 Tote registriert. Die Operation Sophia zwischen der italienischen und libyschen Küste wurde 2020 eingestellt. Seither sind dort nur noch private Rettungsschiffe systematisch unterwegs.
Staaten sind weiter verantwortlich
Der Vorwurf, die Staaten hätten sich aus der Seenotrettung komplett verabschiedet, trifft nicht unbedingt zu, denn nach wie vor sind die Regierungen für ihre Rettungszonen im Mittelmeer zuständig. So koordiniert etwa die Rettungsleitstelle der Marine in Rom auch die Einsätze der privaten Rettungsschiffe der NGOs oder fordert Handelsschiffe oder Kreuzfahrtschiffe oder die eigene Küstenwache in ihrer Rettungszone zu Einsätzen auf. Die Überwachung der Rettungszonen aus der Luft geschieht sowohl mit staatlichen als auch mit privaten Flugzeugen der NGOs, die ihre Erkenntnisse an die Leitstelle in Rom melden. Schiffbrüchige können sich bei einer zentralen Notrufnummer melden, die von NGOs betrieben wird und die Meldungen an die staatliche Koordinierungsstelle in Rom weiterleitet. Der Inselstaat Malta allerdings schaut in seiner Rettungszone eher angestrengt weg, meinen die NGOs. Malta definiert zum Beispiel Seenot anders als Italien und greift nicht ein, wenn Migranten auf einem überfüllten Boot ihre Fahrt "freiwillig" fortsetzen.
Finanziert durch Spenden
In Deutschland arbeiten die NGOs mit zwei weiteren Vereinen zusammen, die sich hauptsächlich um das Einwerben von Spenden und den Kauf von geeigneten Schiffen kümmern. Der Verein United4Rescue mit Sitz in Hannover steht der evangelischen Kirche nahe. Zwei Vorstandsmitglieder sind Pastoren. Der Verein stützt sich auf viele kleine Ortsgruppen und war bislang in der Lage, drei Schiffe unter anderem für Sea-Watch zu finanzieren. Der Verein Bewegung Seebrücke hat einen Stiftungsfonds gegründet, mit dem zivile Seenotrettung finanziert wird. Neben den Schiffen müssen die Gehälter für die professionellen Schiffscrews, Betriebskosten, Wartung und Verpflegung für monatelange Einsätze bezahlt werden. Viele andere Helfer arbeiten auf den Schiffen ehrenamtlich. Die NGOs beschäftigen meist in ihren Zentralen je nach Größe professionelle Manager für die Einsatzplanung und das Einwerben von Spenden.
Italien versucht NGOs zu behindern
Die Schiffe der NGOs wurden und werden von italienischen Hafenbehörden oftmals festgesetzt - zu zeitraubenden Inspektionen oder unter dem Vorwurf einen Hafen illegal angesteuert zu haben. Die derzeitigen Regierungsparteien, allen voran die rechtspopulistische Lega des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini, versuchen den Rettern das Leben schwer zu machen. 2019 hatte die deutsche Kapitänin Carola Rackete trotz eines Verbotes durch Matteo Salvini ihr Sea-Watch-Schiff in Lampedusa angelegt und dabei ein Boot der italienischen Finanzpolizei "Guarda di Finanza" gerammt. Carola Rackete wurde von italienischen Gerichten in einem anschließenden Strafverfahren freigesprochen. Jetzt will sie für das Europäische Parlament für die Linkspartei kandidieren. Matteo Salvini und seine Anhänger schäumen vor Wut.
UNHCR: "Unschätzbarer Beitrag"
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) begrüßt das Engagement der NGOs und privaten Retter. Sie leisteten seit Jahren einen unschätzbaren Beitrag, um Todesfälle auf dem Mittelmeer zu verhindern. "Ihre Arbeit verdient Anerkennung und sollte von staatlicher Seite nicht eingeschränkt oder sanktioniert werden, denn weniger Schiffe im Mittelmeer bedeuten mehr Tote", erklärt der UNHCR im Internet und fordert die EU zugleich auf, wieder selbst eine robuste Rettungsmission zu unterhalten.