Schlacht um die Wähler beginnt
26. April 2004Noch liegt ein gutes halbes Jahr Wahlkampf vor den USA, doch die meisten Wähler dürften ihre Entscheidung für den 2. November bereits getroffen haben. Der Ausgang der Wahl ist jedoch alles andere als entschieden, denn die meisten Beobachter erwarten ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Kandidaten. Ein wesentlicher Faktor ist die Wahlbeteiligung, aber genau so wichtig ist eine andere Frage: Wie viele unentschiedene Wähler gibt es, und wie viele von diesen werden auch tatsächlich an die Urnen gehen?
Wahlbeteiligung könnte entscheidend sein
Vor vier Jahren, als das Ergebnis knapper ausfiel als bei jeder anderen Präsidentschaftswahl seit 1876, gaben 105 Millionen US-Amerikaner ihre Stimme ab. Das entspricht 51 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung. Mit dieser Wahlbeteiligung kann man sicherlich nicht im Rest der Welt angeben - aber sie ist ein Faktum und wird von Präsident George W. Bush ebenso wie von John Kerry, seinem voraussichtlichen Herausforderer von den Demokraten, in die Strategie mit einbezogen. Insbesondere Bush will diesmal einen sauberen Wahlsieg, egal wie knapp dieser ausfallen mag. Das geht nur, wenn er in den gleichen Bundesstaaten siegreich ist wie im Jahr 2000 und darüber hinaus noch zusätzliche Staaten erobert. Kerry hingegen muss in den traditionell demokratischen Staaten siegen, aber auch manche zurückgewinnen, die 2000 an die Republikaner gefallen sind. Zudem muss er darauf achten, nicht am linken Rand Wähler zu verlieren, die mit einer Proteststimme für den unabhängigen Kandidaten Ralph Nader liebäugeln. Man muss sich nur in Erinnerung rufen, dass Nader bei der letzten Wahl 2,5 Millionen Stimmen erhalten hat.
Rekordsummen für die Kampagne
Es steht außer Zweifel, dass Demokraten ebenso wie Republikaner ihre Wahlkampf-Bataillone mobilisieren werden um auch in die hintersten Winkel des Landes vorzudringen. Sie werden versuchen, möglichst jeden einzelnen Wähler persönlich mit einem Brief, einem Anruf oder gar einem Hausbesuch zu erreichen. Dafür sprechen schon alleine die Rekordsummen, die gerade für die Schlacht gesammelt werden. Präsident Bush ist auf bestem Wege, die anvisierten 200 Millionen US-Dollar für die Kampagne einzustreichen. Auch John Kerry wird eine Rekordsumme zur Verfügung haben - allerdings nur nach demokratischen Maßstäben.
Dieses Manko muss er durch Wahlkampfhelfer ausgleichen. Dazu ist er stärker auf die Unterstützung derjenigen angewiesen, die sich zuvor für seine innerparteilichen Gegenkandidaten - Dean, Liebermann, Edwards oder Gebhardt - eingesetzt haben. Ob das reicht, um mehr Menschen an die Urnen zu bekommen, bleibt allerdings abzuwarten. Die Antwort hängt davon ab, ob Kerrys Kampagne über das Ziel, George W. Bush abzuwählen, hinauskommt. Um das ganze Spektrum der demokratischen Wählerschaft anzusprechen, muss er eine besondere Vision entwickeln, mit der sich viele Amerikaner identifizieren können. Für Kerry wird es ein steiniger Weg ins Weiße Haus.
Ausgang ist noch völlig offen
Es mag den Anschein haben, dass sich John Kerrys Chancen in den vergangenen Wochen verbessert hätten. Die Anhörungen vor der 9/11-Kommission über Fehler und Versehen der Regierung waren dramatisch - insbesondere der Auftritt von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, die mit den Anschuldigungen Richard Clarks, des ehemaligen Terrorberaters im Weißen Haus, konfrontiert wurde. In seinem Enthüllungsbuch hatte er der Regierung Versagen bei der Terrorabwehr vorgeworfen. Auch die andauernde Gewalt im Irak beunruhigt das Volk. Es wird gefragt, was noch alles passieren muss, bevor die Truppen endlich heimkehren können. Gleichzeitig wird ihnen gesagt, dass eventuell noch mehr Soldaten in den Irak geschickt werden.
Andere machen sich Sorgen über ihre soziale Absicherung, das Gesundheitssystem und ihre Renten. Das alles schafft einen fruchtbaren Boden für Kerry, von dem aus sich gute Attacken auf den Präsidenten starten lassen. Jüngste Meinungsumfragen zeigen jedoch, dass der Vorsprung von Kerry schrumpft. Das dürfte in den folgenden Monaten noch stärker zu beobachten sein. Die extreme Polarisierung zwischen den beiden Lagern macht es auf lange Sicht unmöglich, den Ausgang der Wahl am 2. November verlässlich vorherzusagen.
Minderheiten könnten den Ausschlag geben
Unvorhersehbare Faktoren, wie ein weiterer Terroranschlag in den Vereinigten Staaten oder Pannen bei der Machtübergabe im Irak könnten die Wahl ebenfalls noch beeinflussen. Wenn die Machtübergabe - an wen auch immer - nicht glatt läuft, wird dies auf die Stimmung der unentschiedenen Wähler schlagen. Menschen, die bisher nicht an der Wahl teilnehmen wollen, könnten ihre Meinung ändern. Auch vom Verhalten gewisser Minderheiten in den USA wird der Wahlausgang beeinflusst, z.B. von Homosexuellen, Latinos oder jungen Menschen. Mit der Auswahl des richtigen Stellvertreters, des Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, könnte Kerry zusätzlich Punkte machen. Erschiene beispielsweise der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, auf dem "Ticket", wäre dies ein deutliches Signal an die Spanisch sprechende Bevölkerung. Der erfahrene Politiker aus dem Südwesten, der selber lateinamerikanischer Abstammung ist, könnte vor allem die Wahl in Florida beeinflussen. Das wäre von besonderer Bedeutung, denn dort wird die Abstimmung genau so eng umkämpft sein wie 2000.
Neben dem Verlauf der Ereignisse im Irak wird es bei dieser Wahl aber auch um die Wirtschaft gehen. Die Bürger werden genau auf die Entwicklung im Land schauen und sich Gedanken über die Zeit nach der Wahl machen. Wenn sie in den nächsten sechs Monaten den Eindruck bekommen, dass sich die Wirtschaft positiv entwickelt, kann Bush davon profitieren. In den Staaten, die vom Arbeitsplatzabbau besonders hart getroffen wurden, wird man die Wähler davon überzeugen müssen, dass Aussicht auf Besserung besteht. Die Entwicklung im Irak ist weitaus schwerer abzuschätzen - und somit auch mögliche Auswirkungen auf den Wahlausgang. Vor allem die Reaktion der bislang unentschiedenen Wähler ist nicht abzusehen. Doch sie werden die Wahl entscheiden.
Deutsch-Amerikanische Beziehungen werden nicht einfacher
In Deutschland gibt es die Tendenz, John Kerry als eine Art wiedergeborenen John Kennedy zu sehen. Sollte er ins Weiße Haus einziehen, so glaubt man, würden die letzten vier Jahre in Vergessenheit geraten und in den Deutsch-Amerikanischen-Beziehungen wieder Eitel Sonnenschein herrschen. Man hofft auf die Wiederkehr der Zustände unter Präsident Bill Clinton - doch dass es damals keine Divergenzen gab, ist ein Mythos. Ähnliches gilt für die Zukunft: Selbst wenn Kerry gewinnen sollte, wird es voraussichtlich weiterhin einen republikanisch dominierten Kongress geben. Die Konfrontationen und Argumente der Vergangenheit werden die Innen- und Außenpolitik der USA auch in Zukunft prägen.
Bis zum Wahltag wird eine unerbittliche Debatte über politische Prioritäten, Programme, Macht und Ziele der Vereinigten Staaten toben. Wer immer diesen Kampf überlebt - das Land wird danach mit klar definierten Erwartungen an Deutschland und Europa herantreten. Ähnlich wie unter Clinton könnte der Ton bei Kerry etwas sanfter ausfallen als bei George W. Bush. Aber täuschen Sie sich nicht - der Umgang mit Washington wird dadurch nicht einfacher. Bleiben Sie dran!
Dr. Jackson Janes ist Executive Director des American Institute for Contemporary German Studies der John Hopkins University in Washington D.C.