Schlangestehen für Kanye West
21. August 2016Ethan ist zufrieden. Der australische Schüler hat zwei der weltweit begehrten Teile ergattert: Ein weißes T-Shirt mit übergroßem Print in Frakturschrift und eine sandfarbene Baseball-Mütze mit Berlin-Stick: "Ich habe meine Freunde immer für ihre Adidas-Schuhe von Kanye beneidet – endlich habe ich auch mal eines dieser Teile abbekommen", sagt er stolz. Das Shirt hat 55 Euro gekostet, die Cap etwa 40 Euro.
Rund 250 Menschen stehen an diesem sonnigen Vormittag in einer unscheinbaren Seitenstraße im Szene-Kiez Kreuzberg. Vor Absperrgittern warten sie darauf, dass sich um 12 Uhr die Pforten der "021C Gallery" öffnen und die ersten zehn Kunden in den Pop-up Store hinein dürfen. Etwa 20 Stunden zuvor haben sie über das Netz erfahren, dass Kanye West auch Berlin als kurzfristigen Standort für einen seiner "Pop-up Stores" ausgewählt hat.
Der Rapper aus Chicago gilt in der Hip-Hop- und Hipster-Szene als Modepapst: Kein anderer Musiker setzt aktuell so zielgenau Fashion-Trends, die zeitgleich von Tokyo über London bis hin nach New York zehntausendfach kopiert werden.
Bislang gab es lediglich Mode zu kaufen, die Kanye für den Sportswear-Hersteller Adidas designt hat. Jetzt gibt es seine erste eigene Kollektion, die er so ähnlich bereits im Februar bei der New Yorker Fashion Week mit einer aufwändigen Show beworben hat. In 21 Metropolen dieser Welt waren Teile der Kollektion jetzt zu haben: von Singapur über Kapstadt, Amsterdam und Miami bis nach San Francisco. Überall ploppten an diesem Wochenende die "Pop-up Stores" auf. Dabei erhielt jede Stadt eigene Designs mit dem Metropolennamen darauf.
Alle T-Shirts, Caps, Kapuzenpullis und Army-Jacken sind im Cover-Design senes aktuellen Albums "The Life of Pablo" in Frakturschrift bedruckt. Keine besonders ausgefallene Avantgarde-Mode. Aber es reicht, um Kanyes Jünger zu beeindrucken - und, um weltweit Warteschlangen aus dem Nichts zu erschaffen.
Ungeschlagener Erfolg in den USA
Am größten ist der Andrang auf alles, was Kanyes Handschrift trägt, aber immer noch in seinem Heimatland, den USA. Denn dort genießt der Musiker noch größeres Ansehen als im Ausland: Seine musikalische Experimentierfreude und Auswahl von Feature-Gästen hat seinen Ruf als musikalisches Genius untermauert. Seine Ehe mit Kim Kardashian wird von Boulevard-Medien und der Reality-TV-Show "Keeping up with the Kardashians" genüsslich in allen Details zelebriert. Und selbst trotz der vielen Trash-News aus dem Hause West, ist der Erfolg des Rappers erstaunlicherweise ungebrochen.
Von dieser Coolness erhoffen sich viele der Wartenden, ein Stück zu kaufen: Kanyes T-Shirts und Pullis sind für sie "tragbare Kunst". Auf dem Kreuzberger Bürgersteig stehen überall Klappstühle, denn die tapfersten Kunden haben vor der Berliner Galerie übernachtet. Dort beäugt man sich gegenseitig mit Misstrauen: Wer darf als erstes in den Store? Wird es mein Wunsch-Teil dann noch in meiner Größe geben?
Um in diesem Chaos halbwegs Ordnung zu schaffen, gibt es eine Warteliste mit 120 Plätzen. Darauf musste man sich bereits am Donnerstag eintragen, danach ging stundenweise eine Checkliste herum, auf der man seinen Namen wieder abstreichen musste. Nur damit nicht jemand auf die Idee kommt, sich einzutragen und dann Zuhause gemütlich auszuschlafen, während andere vor dem "Pop-up Store" ausharren.
Die meisten Wartenden sind zwischen 16 und 26 Jahre alt und tragen limitierte Streetwear von Firmen wie Nike, Supreme oder Gosha Rubchinskiy. Viele Schüler nutzen die letzten Tage der Berliner Sommerferien: Sie werden von den Älteren besonders kritisch beäugt. "Reseller" ist in diesen Kreisen ein Schimpfwort. "Reseller", das sind diejenigen, die stunden- oder tagelang für begehrte Turnschuhe oder Streetwear anstehen, um sie danach zu absurden Preisen online weiter zu verkaufen.
Kanyes erster Adidas-Schuh, Modell "Yeezy Boost 350", kostete im Geschäft vor einem Jahr rund 200 Euro. Auf Plattformen wie "Klekt" wird er für aktuell zwischen 950 und 1.250 Euro weiter verkauft. Solche Gewinnspannen lassen sich mit keiner Aktie erzielen. Kein Wunder also, dass sich das Warten für manche hier auch finanziell lohnt.
Ethan ist übrigens noch unentschlossen. Das T-Shirt wird er behalten, die Cap eventuell weiterverkaufen. Damit hätte er seinen Einsatz locker wieder reingeholt.