Eine Burka für das Werbeplakat
20. Juni 2009Wenn abends der letzte Passant aus den Metroschächten verschwunden ist, beginnt "Princess Hijab" ihren künstlerischen Feldzug. Bewaffnet mit schwarzer Farbe und einem Marker verpasst sie Topmodel Kate Moss einen Gesichtsschleier und Schauspieler Owen Wilson eine Burka. Plötzlich wird aus einem lächelnden Gesicht eine ironische Hinterfragung. Plakativ und mehrdeutig. Das Phantom hat wieder zugeschlagen und zwar wie immer an einem exponierten Ort – diesmal der Pariser Oper.
Kunst oder Chaos?
Dort sprayt auch der 35-jährigen Graffiti-Künstler Alex. Für ihn sei das keine Anarchie im eigentlichen Sinne. "Im Gegenteil. Er benutzt etwas Aufgezwungenes, deutet es um und macht daraus etwas Intelligentes, das die Leute weit mehr anspricht als die ursprüngliche Werbung."
Keine Prinzessin, sondern etwa ein Prinz? Alex sprüht seit er 13 Jahre alt ist und müsste es eigentlich wissen. "Ich denke, es ist ein Typ", aber sicher sei er sich nicht.
"Princess Hijab" gibt selbst Insidern Rätsel auf: Keiner kennt ihre Identität oder ihre Absichten. Fahndet man nach ihr – oder ihm – im Internet, stößt man auf eine chaotische Webseite mit einem fragwürdigen Manifest. Von "visuellem Terrorismus", "künstlerischem Dschihad" und dem "rächenden Kampf für eine noble Sache" ist da die Rede.
Girlie-Power erwartet einen dagegen auf der MySpace-Seite von "Princess Hijab". Die steckbriefliche Info: 21, Mädchen, Stimmungslage: angewidert. Weitere Details? Fehlanzeige. Einer Interview-Anfrage erteilt Princess Hijab per Email zunächst eine Abfuhr. Doch schließlich überwiegt die Neugier - oder vielleicht auch das Bedürfnis, ein paar radikale Interpretationen zu entschärfen und den Schleier zumindest ein wenig zu lüpfen - per Telefon.
"Princess Hijab" seit 2006 aktiv
"All diese Begriffe – visueller Terrorismus, Dschihad – sind kodiert. Sie haben natürlich ein Gewicht, eine emotionale Bedeutung, aber ich versuche, sie aus dem Kontext zu heben. Bei mir ist das eine Art Haltung, eine Metapher. Und die noble Sache dabei ist, bei Bildern im öffentlichen Raum das Recht auf eine Gegendarstellung einzufordern."
Seit Anfang 2006 bombardiert "Princess Hijab" das Internet und die Mauern der Stadt mit Bildern von verschleierten Plakatfrauen und Männern. Mit Islamisierungsversuchen hat das also nichts zu tun, sondern vor allem mit künstlerischer Selbstverwirklichung.
"Der Schleier hat viele Bedeutungen: er kann sakral oder profan, identitätsstiftend oder entfremdend sein", meint "Peincess Hijab". "Und er ermöglicht mir, an mehreren Fronten zu kämpfen, versteckt zu bleiben, mir eine andere Persönlichkeit zu erschaffen und mich von anderen Künstlern in Frankreich abzuheben."
Schleier des Anstoßes
Muslimisch sei sie nicht. Und erst recht nicht prüde. Ihre "hijabisierten" Frauen präsentieren sich schließlich kokett im Minirock, mit hochhackigen Schuhen oder gar gezückter Pistole. Und sie spalten die Gemüter. Westlichen Kritikern ist "Princess Hijab" zu islam-propagandistisch, einigen Muslimen nicht rein genug - zu viel nackte Haut blitze noch hervor. Dass der Schleier bei dieser künstlerischen Revolution längst zur bloßen Hülle verkommen ist, scheint jedoch weder Fans noch Kritiker zu stören. "Für mich interessieren sich zugleich Atheisten, Feministen und Muslime. Ich denke, ich habe etwas berührt, ohne mich groß rechtfertigen zu müssen", erzählt "Princess Hijab". Letztlich sei es jedem frei gestellt, ihr Vorgehen zu interpretieren, wie es ihm gefalle. "Ich mag die Idee, Dinge nicht so genau zu definieren."
"Princess Hijab" setzt auch in Zukunft auf die Macht der Mehrdeutigkeit. Das Geheimnis um ihre Identität, ihr wahres Alter oder Geschlecht will sie selbst bei ihrer ersten Ausstellung in New York nicht enthüllen. "Princess Hijab ist eine urbane Allegorie, die ich erschaffen habe. Sie ist eine Matrix, eine Metamorphose, von der gewöhnliche Sterbliche nur träumen können und die nur Göttern und Superhelden vorbehalten ist."
Autorin: Carmen Lünsmann
Redaktion: Mareike Röwekamp