"Schlimmere Stimmung als bei den letzten Intifadas"
6. Juli 2014"Das ist schlimmer als die erste und die zweite Intifada", sagt Mohammed Abu Chedair. "Ich möchte nur noch, dass der Hass und das Blutvergießen aufhören!" Der 46-jährige Palästinenser ist eng verwandt mit dem Paar in Ost-Jerusalem, dessen 17-jähriger Sohn in den frühen Morgenstunden des vergangenen Mittwochs ermordet wurde.
Die Spannungen zwischen Palästinensern und Juden waren eskaliert, nachdem die drei israelischen Teenager Naftali Frankel, Gilad Shaer und Ejal Jifrach am 12. Juni entführt worden waren. Nun, nach dem Tod des jungen Palästinensers am Mittwoch, kochte die Stimmung in den Straßen von Shuafat über und die Wut entlud sich in gewaltsamen Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und jungen Palästinensern. Mülltonnen wurden umgeworfen, Straßenbahnhaltestellen und Gebäude in Brand gesteckt, Ampeln zerstört. Am Donnerstag hatte sich die Lage in Shuafat, einer palästinensisch-arabischen Siedlung im Osten Jerusalems, zwar beruhigt, doch der Vandalismus ging weiter.
Mohammed Abu Chedair, der in Ost-Jerusalem lebt, hat Angst, dass die Gewalt noch weiter eskalieren könnte. Seine Kinder hält er von der Siedlung Shuafat fern: "Ich möchte nicht, dass meine Kinder das mit ansehen müssen, sie sind ja noch klein. Deshalb will ich, dass sie dieser Siedlung fernbleiben."
"Ein barbarischer Akt"
Was mit dem palästinensischen Teenager geschehen sei, findet der Palästinenser einfach schrecklich:"Dass sie seine Leiche verbrannt haben, entsetzt wirklich jeden hier. Der Respekt vor einer Leiche gebietet, sie nicht zu verbrennen. Das war ein barbarischer Akt. Mich haben jüdische Freunde am Donnerstag angerufen, um mir ihr Beileid auszusprechen. Es sind sehr nette Leute, sie stehen politisch links, gehören also nicht den Rechten an. Ich habe geantwortet, dass ich nicht überrascht sei, dass sie anrufen, weil sie gute Menschen sind. Wir müssen etwas unternehmen."
Das sei doch nicht zu viel verlangt, sagt er. Er sorge sich um die Kinder, sie müssten doch in Ruhe und Frieden über die Straße gehen können, zur Schule und zur Universität. Nicht einmal er selbst traue sich noch in orthodoxe jüdische Gegenden oder Siedlungen.
"Jeder will Vergeltung"
Die angespannte Lage zwischen Juden und Palästinensern hält Mohammed für schlimmer als während der ersten und zweiten Intifada. Rache liege in der Luft, sagt er: "Jeder will Vergeltung. Gestern habe ich in der Zeitung von tausenden israelischen Soldaten gelesen, die Rache nehmen wollen. Man glaubt ja nicht, was es für diskriminierende Äußerungen gibt - das ist verrückt! Weder in der ersten noch in der zweiten Intifada habe ich solchen Hass, solche Feindseligkeit, so einen Gesinnungswandel erlebt."
Sieht er die Gefahr einer dritten Intifada? Die meisten Menschen, meint er, würden das nicht wollen. Sie seien noch immer traumatisiert von der zweiten Intifada, die bis 2005 gedauert hat. Käme es zu einer dritten, wäre sie viel schlimmer, fürchtet er. Dann wäre jeder betroffen, "sogar die Gemäßigten, jene, die niemals an solchen Aktionen teilgenommen haben - auf beiden Seiten". Die Lage habe sich gewandelt - "nur zum Schlechten", sagt er. "Die Leute fühlen sich unterdrückt. Nun liegt alles an der israelischen Regierung."
"Von den USA wollen wir nichts mehr hören"
Die Vereinigten Staaten, lange ein enger Verbündeter Israels, haben in dieser Woche Beileidsbekunden an die Palästinenser gesendet, verbunden mit der strengen Warnung von Präsident Barack Obama an alle Parteien, "keine Schritte zu unternehmen, die die Situation weiter destabilisieren könnten".
Mohammed wünscht sich vor allem ein größeres Engagement europäischer Politiker. Denn er ist überzeugt, dass Europa einen größeren Einfluss auf Israel hat als die USA. "Die Europäer könnten von Israel verlangen, der Gewalt Einhalt zu gebieten. Die Position der europäischen Staaten ist schon immer besser gewesen als die amerikanische Haltung. Von den USA wollen wir nichts mehr hören. Die Palästinenser brauchen dringend einen eigenen Staat."
"Was wir brauchen, ist Solidarität"
Shuafat, sonst eine lebendige Gemeinschaft mit blühenden Geschäften und Zügen voller Pendler, hat sich verändert. Die Züge fahren nicht mehr, Gebäude sind schwer beschädigt, die Straßen voller Schutt, alle Geschäfte sind geschlossen.
Alle Menschen seien betroffen, die hier leben, sagt Mohammed. "Das wird sehr teuer - für die Gemeinde und für die Regierung, die das vielleicht irgendwann reparieren lässt." Gebäude zu zerstören und Eigentum zu beschädigen, sei kein Weg, um Probleme zu lösen, sagt er. "Was wir brauchen, ist Solidarität. Wir müssen gemeinsam marschieren, wir brauchen Plakate und Slogans - und keine Zerstörungswut."