Schriftsteller im Gespräch: Abbas Maroufi
29. Dezember 2016Er hat ihn schon vor über zehn Jahren geschrieben, doch erst jetzt ist der Roman ins Deutsche übersetzt worden. "Fereydun hatte drei Söhne" erschien 2005 im eigenen Verlag "Gardoon" in Deutschland - allerdings nur in Persisch. Also in der Sprache, mit der Abbas Maroufi aufgewachsen ist und in der er auch heute noch seine Romane, Kurzgeschichten und Essays zu Papier bringt. "Fereydun hatte drei Söhne" erzählt von einer Familie, die 1979 in die Revolutionswirren nach dem Schah-Sturz und der Machtergreifung der Mullahs hineingezogen wird.
Seit dem aktuellen politischen Umbruch in der Türkei schaut man hierzulande wieder verstärkt auf Schriftsteller, die in ihrer jeweiligen Heimat nicht mehr publizieren können und in Deutschland im Exil leben. Can Dündar ist der derzeit bekannteste Exil-Autor in Deutschland.
Vergessen wird dabei manchmal, dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus anderen Kulturkreisen schon lange bei uns leben. Sie stehen meist aber nicht mehr so stark im Lichte der Öffentlichkeit. Wie eben Abbas Maroufi aus dem Iran. Dabei galt Maroufi schon in seiner Heimat als einer der bekanntesten Autoren seines Landes.
Maroufi: "Ich musste alles lernen"
Deutsche Welle: Derzeit wird ja in Deutschland vor dem Hintergrund der Lage in der Türkei viel über Schriftsteller im Exil gesprochen. Wie ist das mit Ihnen? Ihr neuer Roman ist gerade in Deutsch erschienen. Sie leben ja jetzt schon lange in Deutschland. Wie war das damals für Sie?
Ich bin jetzt 20 Jahre in Deutschland, ich war damals der erste iranische Schriftsteller im Heinrich-Böll-Haus. Diese Einrichtung hat ja eine große Erfahrung im Umgang mit Exil-Schriftstellern. Ich hatte vier Prozesse im Iran hinter mir, wurde zu Peitschenhieben, Gefängnis und einem zweijährigen Publikationsverbot verurteilt. Dann hatte ich die große Chance zur Ausreise, hatte viele Einladungen bekommen, von Günter Grass, von der Buchmesse, von verschiedenen Organisationen. Ich konnte mit dem deutschen Botschafter nach Deutschland kommen. Ich musste eine neue Sprache lernen, mich um Dinge wie einen neuen Führerschein kümmern. Ich beherrschte nicht viel mehr Wörter als "Ich", "Du" oder "Straße". Ich musste erst alles lernen. Das war eine große Erfahrung.
Aber es war ja nicht nur die Sprache, eine ganz neue Kultur musste erschlossen werden…
Ja, ich musste in Deutschland die "europäische Moral" kennenlernen, ich musste das alles vergleichen mit den Erfahrungen aus meinem Heimatland: Was hatte ich in Iran? Was kann ich hier neues finden? Ich hatte ja auch drei Töchter und eine große Familie, um die ich mich kümmern musste, ich musste arbeiten. Das war damals ein vollkommen neues Leben. In Iran war ich großem Druck ausgesetzt durch den Geheimdienst und durch Pasdaran (die iranischen Revolutionsgarden).
Wie ging es dann weiter?
Ich habe mich damals sehr bemüht, eine Arbeit zu bekommen, ich wollte nicht vom Geld des Sozialamtes leben, habe dann auch nur zwei bis drei Monate Hilfe von dort bezogen. Die Frau von Heinrich Böll, Annemarie Böll, hat zu mir gesagt: "Herr Maroufi, Sie sind doch sehr mobil, wollen Sie nicht für uns arbeiten?" Ich habe dann ein Jahr im Heinrich-Böll-Haus in Düren gearbeitet, musste Lesungen und Ausstellungen organisieren, habe mich auch um die Arztbesuche von anderen Gästen des Hauses gekümmert. Das war ein sehr wichtiges Jahr damals für mich. Es war auch ein Jahr, in dem ich viel Zeit zum Nachdenken hatte: Ich musste mich völlig neu orientieren, musste schauen, was aus meinem Leben wird. Ich hab dann einen Job in Wandlitz bei Berlin in einem Hotel gefunden, wo ich zwei Jahre im Nachtdienst gearbeitet habe von 9:00 Uhr Abends bis zum frühen Morgen.
Haben Sie damals wieder angefangen zu schreiben?
Damals dachte ich, dass ich im Hotel gut lesen und schreiben könnte. Aber ich habe dann zwei Jahre nicht mehr geschrieben. Dauernd klingelte das Telefon, ich musste mich um die Sauna im Hotel kümmern, um den Whirlpool, um die Küche. Nach diesen zwei Jahren habe ich dann in der Kant-Straße in Berlin eine Buchhandlung eröffnet ("Hedayat", Buchhandlung für persische und orientalische Literatur), die es jetzt seit 14 Jahren gibt. Ich habe einen Verlag gegründet, "Gardoon", für iranische Schriftsteller im Exil, auch für verbotene Bücher, für Romane und Short-Storys aus dem Iran, die dort nicht erscheinen konnten. Wenn Autoren nicht die Erlaubnis bekamen dort zu publizieren, konnten sie mir ihre Manuskripte schicken und ich habe die dann in Deutschland gedruckt. Ein Buch ist für mich wie ein Baum. Ich muss es hier "einpflanzen", eines Tages kann ich es dann vielleicht noch einmal einpflanzen, in die Erde im Iran.
Sie sind jetzt seit 20 Jahren nicht mehr in Ihrer Heimat, Sie schreiben aber noch in Ihrer Muttersprache. Wie ist das Verhältnis zwischen Ihrer Muttersprache und dem Deutschen?
Normalerweise ist Farsi ja meine Muttersprache. Ich spreche jeden Tag Deutsch, aber auch Persisch. Ich schreibe auch in Persisch. Jede Nacht schreibe ich meine Romane, seit 40 Jahren.
Und Sie unterrichten auch…
Ich habe viele Studenten in Roman- und Short-Story-Kursen. Die kommen aus dem Iran, aus Afghanistan, Kanada, aus den USA, aus Deutschland, Nepal und den verschiedensten Ländern. Das mache ich dreimal pro Woche. Letztes Jahr hatte ich mit meinen 14 Assistenten 1830 Studenten, die kostenlos unterrichtet wurden in Online-Kursen in einem sogenannten "Massive Open Online Course" (offener Massen-Online-Kurs, kurz MOOC). Wir haben dort rund hundert gute, talentierte Autoren gefunden. Denen bringen wir die Techniken des Schreibens bei. Wir fragen sie: Wie hat ein Ernest Hemingway das gemacht? Wie hat Salinger geschrieben oder wie schreibt Philip Roth? Wir beschäftigen uns mit verschiedenen Schriftstellern, Tschechow, Dostojewski, auch Heinrich Böll. Und auch ich kann meine Erfahrungen weitergeben.
Sie haben gesagt, ein Buch ist wie ein Baum, was meinen Sie damit genau?
Wir haben ein Sprichwort im Iran. Ein Mann, ein Schriftsteller, ein Mensch im Allgemeinen, ist wie ein Baum: Wenn er in ein anderes Land geht oder eine andere Erde betritt, dann bleibt er dort, schlägt also Wurzeln, oder er stirbt. Ich habe eigentlich immer gedacht, ein Mensch kann kein Baum sein, weil Bäume keine Füße haben und nicht spazieren gehen können. Aber dieses Sprichwort hat mich auf Folgendes gebracht: Ein Buch ist wie ein Baum! Wenn ein Buch also in Iran verboten ist, dann können wir es hier einpflanzen, veröffentlichen. Dann warten wir 30 oder 40 Jahre, und dann können wir es vielleicht nochmal einpflanzen in der Heimat. Große Literatur überlebt. - Schauen Sie, Shakespeares "Hamlet" kennt man heute noch. Viele Bücher hat man nach zwei bis drei Jahren vergessen. Aber wirklich gute Literatur überlebt viele Jahre.
Haben Sie da ein Beispiel aus Ihrer Heimat?
Unser großer Schriftsteller Sadeq Hedayat schrieb sein Buch "Die blinde Eule" (in Iran stehen Eulen für die Intellektuellen) in Indien in den 1930er Jahren. Er hat das mit der Hand geschrieben und hat 50 Exemplare als Steindruck herstellen lassen. In Iran war es während der Herrschaft von Reza Schah Palavi verboten und noch heute stößt das Buch in Iran auf Probleme, manchmal darf es gedruckt werden, manchmal nicht. Seine Veröffentlichung ist an die Bedingungen der Zensoren geknüpft. Aber in Iran hat heute jeder diese Eule.
Das Gespräch führte Jochen Kürten
Abbas Maroufi: Fereydun hatte drei Söhne, Verlag Edition Büchergilde, in der Reihe Weltlese: Band 17, 298 Seiten, ISBN 978 3 86406 071 7