Schriftsteller und Versöhner Ota Filip ist tot
3. März 2018Er kam von unten. 1930 als Sohn eines tschechischen Konditors in Ostrau geboren, teilte Ota Filip das Schicksal vieler Dissidenten: Weil der gelernte Journalist mit der Kommunistischen Partei über Kreuz lag und deshalb Schreibverbot erhielt, musste er sich mit klassischen Tätigkeiten der Arbeiterklasse durchschlagen: im Bergbau, als Lastwagenfahrer und auf dem Bau. Doch unter Pseudonymen verfasste er heimlich weiter Hörspiele, Gedichte, Erzählungen und Essays.
Der "Prager Frühling" bot Filip 1968 die Gelegenheit, offiziell sein eigentliches Handwerk wieder auszuüben: Er erhielt eine Anstellung als Verlagslektor in Ostrava. Mit den sowjetischen Panzern, die der Bewegung rasch ein blutiges Ende bereiteten, kam die Kehrtwende. Und alsbald wuchs auch der Druck, den das Regime auf Filip ausübte.
"Unterwühlung" von Staat und Gesellschaft
1969 musste der Schriftsteller, der zwischenzeitlich im Westen glänzende Rezensionen erhielt, für 15 Monate ins Gefängnis. Die Begründung dafür ist selbst beinahe ein Stück Literatur - einzuordnen in die Gattung der Groteske, der auch einige von Filips Werken zuzurechnen sind: "Unterwühlung" von Staat und Gesellschaft wurde ihm angelastet.
Die Anstalt in Pilsen-Bory, wo er einsitzen musste, hatte sich längst in die Familiengeschichte eingebrannt: Bereits sein Großvater wurde zu Zeiten der k. u. k. Monarchie in jenem Gefängnis festgehalten, später dann sein Vater in der Stalin-Ära - wegen angeblichen Landesverrats.
Leidenschaftlicher Versöhner
Heimlich schrieb Filip nach seiner Entlassung aus der Haft weiter. Doch die anhaltenden Pressionen zehrten an ihm. 1974 ging er ins Exil nach Westdeutschland, wo er - neben seiner Arbeit als Autor - für den S.-Fischer-Verlag lektorierte. Drei Jahre später erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.
Statt angesichts geraubter Lebenschancen in Bitterkeit zu versinken, verschrieb sich Filip mit Leidenschaft der Versöhnung zwischen den Tschechen und den aus Böhmen und Mähren vertriebenen Deutschen. So schrieb er 1996: "Immer wieder habe ich in den Ruinen, die uns die tschechisch-deutsche Vergangenheit in meiner einstigen Heimat nach 1939 hinterlassen hat, Gemeinsamkeiten entdeckt, verschüttete Grundmauern, abendländisch-christliche Traditionen, auf welche wir eine gemeinsame Zukunft in Europa aufbauen können."
Wachsende Fallhöhe
Filip war Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und des deutschen PEN-Zentrums; er ging als Stipendiat der Villa Massimo nach Rom, kurz: Er war etabliert. Damit wuchs auch die Fallhöhe, die sich schließlich im Jahr 1997 auftat: Vorwürfe wurden laut, der einstige Dissident sei in den 50er und 60er Jahren dem Geheimdienst des kommunistischen Regimes in Prag zu Diensten gewesen.
In einem "Spiegel"-Interview verteidigte er sich: Er habe "nicht wissentlich und nicht willentlich" mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit zusammengearbeitet. Später schob er nach: Unter den Bedingungen der stalinistischen Einzelhaft habe er versagt, was er zutiefst bereue.
Roman als Selbstverteidigung
Eine Zeit lang schwieg Filip. Die Enthüllungen der Presse und der damit in Verbindung gebrachte Selbstmord seines Sohnes setzten ihm heftig zu. 2001 legte der Schriftsteller eine Selbstverteidigung in Form des autobiografischen Romans "Der siebente Lebenslauf" vor. In ihm lässt er aus dem Blickwinkel des Kindes und Jugendlichen die Schrecken und Absurditäten der frühen 50er Jahre in der Tschechoslowakei aufscheinen.
Die "Neue Zürcher Zeitung" beurteilte das Werk mit versöhnlicher Milde und schrieb, nun bleibe das Urteil über Filip dem Leser überlassen, der sich erforschen und richten möge - "wenn ihm nach der letzten Seite noch danach zumute ist".
Wie erst jetzt bekannt wird, ist der Brückenbauer zwischen Prag und Berlin am Freitag, eine Woche vor seinem 88. Geburtstag, in Garmisch-Partenkirchen gestorben.