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Kaum noch Schuhe "made in USA"

Sabrina Kessler New York
7. Oktober 2019

Jahrzehntelang kamen Schuhe für den US-Markt aus den USA. Dann kamen die Chinesen. Über eine amerikanische Industrie, die alles versucht - und an Fernost scheitert. Trotz Donald Trump.

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Westernmode - Cowboystiefel
Bild: Imago/All Canada Photos

Douglas Clark hat lange in der Welt der Schuhe gelebt: Mehr als 30 Jahre seines Lebens hat er für die größten Schuh-Marken der Welt gearbeitet, er hat die Trends kommen und gehen sehen und Arbeiter in Fabriken weltweit angelernt. Der Schuh - das war für ihn immer ein klassisches, amerikanisches Produkt. Umso mehr störte es ihn, dass die Produktion immer mehr nach Fernost abwanderte. Das muss doch anders gehen, dachte er sich und machte sich wenig später mit seiner eigenen Marke "New England Footwear" selbstständig. Sein Ziel: Schuhe "Made in USA".

Acht Jahre steckte er in die Entwicklung: Er automatisierte die Produktion, vereinfachte die Modelle und schraubte die Kosten runter. Doch die Konkurrenz aus Fernost war ihm trotzdem voraus. Schließlich musste er ernüchtert aufgegeben, wie er vor kurzem dem amerikanischen Radio-Sender NPR erzählte. Wie man Schuhe nachhaltig in den USA produziert, weiß der Schuh-Veteran bis heute nicht.

Es gab mal viele US-Schuhhersteller

Vor 40 Jahren war all das noch anders. Landesweit produzierten Dutzende Schuhhersteller für den heimischen Markt, mehr als 90 Prozent der in den USA verkauften Schuhe wurde damals im Inland fabriziert. Seit damals ist die Nachfrage kräftig gewachsen, die US-Schuhproduktion allerdings geschrumpft. So haben sich inzwischen die Verhältnisse komplett gedreht: 99 Prozent aller Schuhe kommen mittlerweile aus Fernost - 2,4 Milliarden Treter jedes Jahr. In den USA werden dagegen nur noch 25 Millionen produziert. Es ist ein schleichender, aber radikaler Untergang einer einst großen amerikanischen Industrie.

Große Auswahl: Junge Frau in einem Schuhgeschäft in Santa Cruz, Kalifornien
Große Auswahl: Junge Frau in einem Schuhgeschäft in Santa Cruz, KalifornienBild: picture alliance/blickwinkel/Blinkcatcher

"Schuhe waren mal ein sehr großes Business in den USA", sagt Matt Priest, Geschäftsführer von Footwear Distributors and Retailers of America (FDRA), dem größten amerikanischen Verband der Schuhindustrie. Doch mit der wachsenden amerikanischen Wirtschaft sind auch die Lohn- und Lebenshaltungskosten gestiegen. Diese Entwicklung habe dafür gesorgt, dass die Produktion in andere Länder abgewandert sei. "Heute ist die Schuh-Produktion nur noch ein Nischenmarkt in den USA. Und das wird wohl auch erstmal so bleiben," so Priest.

Die lachenden Gewinner

Die Gewinner sitzen in Fernost. Auch wenn China längst nicht mehr die Werkbank der Welt ist, wird dort immer noch ein Großteil für den amerikanischen Markt produziert. Drei Dollar pro Stunde verdienen die Arbeiter vor Ort, in den USA sind es oft 13 Dollar mehr. Rechnet man Großhandel und Einzelhandelsmargen dazu, vervierfachen sich die Kosten für ein Paar Schuhe im Vergleich zu denen, die in China produziert werden. Am Ende ergibt sich eine Preisdifferenz von 50 Dollar je Paar. Man braucht kein Mathematik-Genie zu sein, um zu wissen, wer da das Rennen gewinnt.

Ein Kampf gegen die Kosten

Clark wollte diese Verhältnisse umdrehen. Sein Credo: Dort produzieren, wo der Markt ist und nicht da, wo die niedristen Lohnkosten sind. Um die Produktionskosten trotzdem so gering wie möglich zu halten, reduzierte er die benötigten Teile pro Schuh auf ein Minimum: zwölf Teile statt 50. Und auch der Arbeitsaufwand sollte durch automatisierte Fertigung auf ein Minimum reduziert werden.

Doch genau darin lag die Crux. Anders als menschliche Arbeiter sehen Roboter keine Produktionsfehler. Immer wieder kam es zu Produktionsstopps, weil die Maschinen nicht das taten, was sie sollten. Kamen neue Modelle hinzu, dauerte es ewig sie umzuprogrammieren. Es war ein Kraftakt, der Clarks gesamte Ersparnisse kostete.

Made in Asia: Sportschuhe in einem Nike-Store in Gilroy, Kalifornien
Made in Asia: Sportschuhe in einem Nike-Store in Gilroy, KalifornienBild: picture-alliance/dpa/N. Schmidt

Schuhimporte sorgen für Arbeit in den USA

Während Clark mit der Globalisierung kämpfte, arrangierte sich die amerikanische Schuhbranche mit der asiatischen Konkurrenz. Inzwischen zieht sie sogar Nutzen aus den günstigen Bedingungen in China. Für FDRA-Chef Priest eine Win-Win-Situation: "Auf der einen Seite können amerikanische Firmen sehr günstig in Übersee produzieren", sagt er, "auf der anderen Seite ermöglicht das Import-Geschäft hunderttausende Arbeitsplätze in den USA".

Sieben Paar Schuhe pro US-Bürger werden jedes Jahr aus Fernost importiert. In den letzten Jahren seien allein durch den Import von Schuhen 350.000 Arbeitsplätze geschaffen worden - viel mehr als es in den Hoch-Zeiten der US-Schuhproduktion gab. Laut dem US-Büro für Arbeitsstatistik zählte die Industrie damals "nur" 76.000 Arbeitsplätze.

Handelskrieg könnte Schuhgeschäft beeinträchtigen

Doch auch das Import-Geschäft hat seinen Preis. Schon jetzt zahle die Branche jedes Jahr "exorbitante drei Milliarden Dollar an staatlichen Abgaben", rechnet Priest vor. Kosten, die durch die von Präsident Trump angekündigten Zölle erheblich steigen könnten. Zollsätze von 60, 70 oder gar 80 Prozent erwartet Priest, der sich sicher ist, dass die Kosten auf die Konsumenten umgewälzt werden.

Der Preis für ein Paar Laufschuhe aus China könnte so von 150 auf 190 Dollar oder mehr steigen. Das wiederum werde sich auf die Nachfrage auswirken und könne die Branche ins Straucheln bringen, befürchtet der FDRA. "Möglicherweise sehen wir im Einzelhandel dadurch bald negative Wachstumsraten", warnt Priest.

Vor wenigen Wochen wandte er sich deshalb mit einem Gnadengesuch an US-Präsident Trump. Denn kurz vor Weihnachten sollen die Zölle erneut erhöht werden: weitere 15 Prozent ab dem 15. Dezember. Zusammen mit 203 Firmen weltweit bat er Trump, die Sanktionen unverzüglich zu stoppen. "Natürlich sollten die Chinesen für den Diebstahl geistigen Eigentums zur Rechenschaft gezogen werden", meint Priest. Aber deshalb Verhältnisse zu schaffen, die dem amerikanischen Wachstum schaden, sei falsch. "Wir brauchen eine Einigung, damit wir uns endlich mal wieder auf das wirklich Wichtige konzentrieren können: Schuhe für unsere Kunden produzieren."

Während der FDRA mit den Folgen des Handelsstreits kämpft, gibt es einige wenige Schuhproduzenten, die von Globalisierung und Zöllen unbeeindruckt weiter in den USA produzieren: die Hersteller von Militärschuhen. Ein Großteil der 200 in Amerika noch intakten Fabriken wird für die Schuh-Produktion der Regierung genutzt, Capps Shoe Co. in Virginia ist eine davon. Mehrere Hundert Arbeiter besohlen hier die Schuhe der US-Soldaten.