US-Präsidentenwahlen
2. Januar 2012"It's the economy, stupid" ("Es geht um die Wirtschaft, ihr Dummerchen") – diesen oft zitierten Satz kritzelte Wahlkampfstratege James Carville 1992 zu Beginn der Wahlkampagne Bill Clintons, der ja damals noch Gouverneur von Arkansas war, auf eine Tafel. Wenn nun, 20 Jahre später, Obamas Aufenthalt im Weißen Haus nach nur einer Legislaturperiode enden sollte, werden er und seine Mitstreiter wahrscheinlich auch sagen: "It was the stupid economy" ("die blöde Wirtschaft war schuld").
Politische Experten und Vertreter der Demokratischen Partei sind sich einig, dass die Wirtschaft das dominierende Thema des Wahlkampfs, der am Dienstag (03.01.2012) mit den Vorwahlen der Republikaner für die Präsidentschaftskandidatur im Bundesstaat Iowa endgültig begonnen hat, sein wird. Nur eine Naturkatastrophe oder ein terroristischer Anschlag könnten daran etwas ändern.
Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft
Dan Odenwald, 36, Verkaufsberater in Washington DC, ist ein gutes Beispiel für die derzeitige Stimmung. Er hat sein Leben lang die Demokratische Partei gewählt und glaubt, dass die meisten Amerikaner beim Wählen vor allem wirtschaftlich motiviert sind. "Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als acht Prozent, die Wirtschaft humpelt so vor sich hin, und die Leute spüren diese Unsicherheit, vor allem was ihre finanzielle Lage angeht. Die Wirtschaft wird also im Mittelpunkt stehen", so Odenwald. "Im Endeffekt wählen die Amerikaner den Kandidaten, von dem sie glauben, dass er das Land am ehesten wieder zu Wohlstand und Wachstum bringt."
Viele Experten denken ähnlich. Josef Braml, Amerikaexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), ist überzeugt, dass "die wirtschaftliche Lage das Herzstück der Präsidenten- und der Kongresswahlen sein wird." Und erinnert: "Es waren hauptsächlich jüngere Wähler sowie Afroamerikaner und hispanische Amerikaner, die für Obama stimmten. Weil sie ihm eher als seinem Herausforderer John McCain zutrauten, die Wirtschaft in Gang zu bekommen. Jetzt muss er diesem Anspruch gerecht werden."
Es ist nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit, die den Amerikanern zu schaffen macht. Das Wirtschaftswachstum lag im ersten Quartal 2011 unter zwei Prozent - trotz eines Konjunkturpakets im Wert von $787 Milliarden (604 Milliarden Euro), das 2009 verabschiedet wurde und jetzt eigentlich greifen müsste. Der amtierende Präsident braucht dringend ein wenig wirtschaftliches Glück, um die, die ihn 2008 ins Weiße Haus brachten, zu motivieren und bei der Stange zu halten.
Schwächelnde Allianzen
Die wirtschaftlichen Probleme haben auch bei Obamas loyalsten Wählergruppen zu Unmut geführt. Es wird nicht leicht sein, diese wieder an die Wahlurne zu locken. "Ein Drittel der Latinos und Afroamerikaner leben unter der Armutsgrenze", sagt Amerika-Experte Braml. "Viele, die ihn das letzte Mal gewählt haben, werden vielleicht diesmal einfach zu Hause bleiben."
Zudem besteht die Gefahr, dass Obama bei den unentschiedenen Wählern an Einfluss verliert, die traditionell die Hälfte der amerikanischen Wähler ausmachen. "Jede Wahl ist ein Referendum der Stimmung der Wähler, ihrer Einschätzung der Lage der Nation und in welche Richtung das Land geht. Und wenn sie glauben, dass sich die Lage verschlechtert, wenn der, der gerade das Sagen hat, im Amt bleibt, dann wählen sie ihn nicht wieder", sagt Odenwald. "Wenn die Wähler geteilt sind, was ja sehr wahrscheinlich ist, dann wird die kleine Gruppe der Unabhängigen in der Mitte, die 2008 Obama gewählt haben, diesmal vielleicht für seinen Herausforderer stimmen".
Doch dass die Mehrheit der eigentlichen Wählerstimmen nicht vorhanden sein muss, bewies im Wahljahr 2000 George W. Bush. Er gewann damals dank des Wahlmänner-Gremiums. Bei der US-Präsidentenwahl geht es weniger um die schiere Anzahl der Stimmen, sondern vielmehr darum, die richtigen Wählerkombinationen in den entscheidenden Bundesstaaten zu gewinnen. Zudem könnte die Wahl des Republikanischen Kandidaten durchaus ein Pluspunkt für Obama sein.
Schwieriger Drahtseilakt
Jüngste Umfragen zeigen, dass Obama in den meisten größeren Bundesstaaten entweder leicht oder sogar weit vorne liegt. Das hängt auch mit der Auswahl der Republikanischen Kandidaten zusammen. Kurz bevor die Ausschüsse zur Wahlvorbereitung in Iowa ab Dienstag tagen - die sogenannten Iowa Caucuses - hat sich noch kein eindeutiger Kandidat herauskristallisiert. Daran zeigt, wie schwer sich die Partei tut, die drei Hauptgruppen der Republikanischen Wähler unter einen Hut zu bringen: die Christlich-Konservativen, die wirtschaftlich orientierten sogenannten "Rockefeller Republicans" und die Tea-Party-Anhänger.
"Obamas Wiederwahl könnte schwierig werden mit einem Kandidaten, der die konservativen Christen, die Verfechter des freien Markts und die Anhänger Ron Pauls für sich gewinnt", so Braml. Als aussichtsreichste republikanische Kandidaten gelten der ehemalige Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney, und der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich. Andere disqualifizierten sich bereits im Vorfeld durch peinliche Auftritte oder Skandale im Privatleben.
Gingrich gilt als Außenseiter. Im Kongress wurde er kürzlich wegen unethischen Verhaltens abgemahnt, und zwei Scheidungen nach außerehelichen Affären werden bei konservativen Wählern wohl wenig Anklang finden. Zudem ist seine Tätigkeit als Unternehmensberater eher hinderlich, wenn er sich als moralischer Rundum-Erneuerer präsentieren will.
So könnte es sein, dass Romney Obamas schärfster Herausforderer sein wird. "Von den derzeitigen Kandidaten spricht er am ehesten alle Wählergruppen an", so Odenwald. "Ich könnte mir vorstellen, dass er viele desillusionierte Demokraten und unabhängige Wähler anzieht. Als erfolgreicher Unternehmer spricht er die an, die einen Experten suchen, der die Wirtschaft auf Vordermann bringt. Er ist außerdem weniger schrill und macht dem amerikanischen Durchschnittswähler nicht so viel Angst wie seine republikanischen Mitstreiter." Von Nachteil für Romney könnte es sein, dass er ein Mormone ist, der aus einem relativ liberalen Staat im Nordwesten Amerikas kommt. Traditionelle Wähler könnte das abschrecken.
"Keiner der führenden Kandidaten erfüllt alle Kriterien", so Braml. "Vielleicht entscheidet sich die christlich-konservative Wählerschaft für das 'kleinere Übel', Hauptsache Obama wird abgelöst. Es kommt dann darauf an, wer sonst noch dabei ist. Wenn der Kandidat für das Vizepräsidentenamt aus der christlich-konservativen Ecke käme, könnte das Wunder wirken." Noch schwieriger könnte es allerdings werden, die Tea-Party-Anhänger zu überzeugen. Die haben ihren Kandidaten schon gefunden, so scheint es.
Kaum Chancen, aber viele Ideen
Der texanische Kongressabgeordnete Ron Paul ist alles andere als der "Durchschnitts-Republikaner". Er war gegen den Einsatz im Irak und setzt sich dafür ein, dass Themen wie Abtreibung oder die Legalisierung von Marihuana auf Länderebene bestimmt werden. Doch dass er mit diesen Vorstellungen Präsident wird, gilt als unwahrscheinlich. "Ron Paul ist sehr beliebt bei einer sehr kleinen, leidenschaftlich liberalistischen Gruppe, aber er zieht nicht die breite Masse an", so Odenwald. "Manche seiner Ideen, zum Beispiel, dass die USA den Goldstandard wieder einführen sollen, sind geradezu irrwitzig, und seine extrem strikte Auslegung der Verfassung finden sogar konservative Republikaner peinlich."
Aber als Ideologe, der zu seiner liberalistischen Gesinnung steht, könnte er den anderen Kandidaten, die versuchen werden, Kompromisspositionen auszuarbeiten, Steine in den Weg legen. "Bei den Vorwahlen (primaries) wird Ron Paul wieder die Stimmen der extrem Liberalen einfangen und so um die 10 Prozent liegen", sagt Braml. "Er hat keine Chance, Präsident zu werden, aber die anderen Kandidaten werden gezwungen sein, seine liberalen Kernthemen zu behandeln".
Wenn Paul in Iowa gut abschneidet, könnte er die Vorwahlenkampagne noch stärker aufwühlen. Der Gewinner könnte zu geschwächt sein, um wirklich eine Herausforderung darzustellen. Und das käme Obama gerade recht.
Autor: Jefferson Chase / ng
Redaktion: Rob Mudge