Schwarz-Grün für Deutschland?
27. September 2013Ein Blick zurück in die Zeiten der Bonner Republik, also vor dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin im Jahr 1999: Der lohnt sich, um zu beurteilen, welche Chancen ein Bündnis von CDU/CSU und Grünen in Deutschland haben könnte. Damals trafen sich junge Abgeordnete beider Parteien in einem bekannten italienischen Restaurant zum informellen Austausch und zum gegenseitigen Kennenlernen. Schon bald machte diese "Pizza-Connection" Schlagzeilen. Mitte der 1990er-Jahre war die CDU-Führung stark bürgerlich-konservativ geprägt von der Generation Helmut Kohl. Und die Grünen galten noch als Bürgerschreck. Was sollte da gemeinsam besprochen werden?
Mit dabei waren damals viele, die nun das politische Geschehen in ihren Parteien prägen: Hermann Gröhe (jetzt: CDU-Generalsekretär), Ronald Pofalla (Kanzleramtschef unter Angela Merkel), Peter Altmaier (Bundesumweltminister) und Armin Laschet (Vize-Bundesvorsitzender der CDU). Sie teilten sich die Pizza mit Cem Özdemir (Grünen-Chef) und mit Katrin Göring-Eckardt (mögliche Fraktionsvorsitzende) sowie Steffi Lemke (Bundesgeschäftsführerin der Grünen), die letzten beiden aus der Bürgerbewegung der DDR kommend. Auch Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen aus der CDU gehörte dazu. Mit anderen Worten: Die frühere Pizza-Connection hat schon heute Einfluss in Berlin.
Erfahrungen sind vorhanden
Unabhängig davon gibt es auf kommunaler Ebene seit Jahren zahlreiche schwarz-grüne Bündnisse. In den Großstädten Frankfurt am Main, Darmstadt und Bonn regieren sie noch immer, in Darmstadt sogar in der seltenen Form eines grün-schwarzen Bündnisses: Im dortigen Stadtrat sind die Grünen stärker als die CDU. Erste Versuche auf Landesebene gab es auch schon: in Hamburg von 2008 bis 2010 und im Saarland in einem Dreierbündnis mit der FDP von 2009 bis 2012. Doch beide Landesregierungen scheiterten. In Hamburg ging der Versuch sogar besonders böse für die CDU aus: Es kam zu Neuwahlen, bei denen die Partei 20 Prozentpunkte ihrer Stimmen verlor.
Für die Christdemokraten hätte ein Testlauf mit den Grünen auch eine strategische Bedeutung. Mit dem Verschwinden der FDP im Bund ist der Union aus CDU und CSU der langjährige Koalitionspartner abhanden gekommen. Ob die Liberalen es wieder in den Bundestag schaffen, ist offen. Weil die Union eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausschließt, ist derzeit sonst also allein ein Bündnis mit der SPD möglich. Aber eine solche sogenannte Große Koalition bedeutet auch, ein relativ großes Stück vom Kuchen der Macht abgeben zu müssen. Ein kleiner Koalitionspartner hat den Vorteil, dass die CDU mehr Ministerposten besetzen kann.
Wohl auch vor diesem Hintergrund gab es innerhalb der CDU-Führung in den vergangenen Tagen nicht wenige Stimmen, die Gespräche mit den Grünen nicht ausschließen wollen. Dazu gehören die Vize-Vorsitzenden der Partei Armin Laschet, Thomas Strobl und Julia Klöckner. Auch Kanzlerin Merkel ist dem grundsätzlich nicht abgeneigt. Schon im Wahlprogramm hatte sich die Union ja auf keinen Koalitionspartner festgelegt.
Modell der bürgerlichen Versöhnung?
Schwarz-Grün wäre neben einem Regierungsmodell auch ein spannendes gesellschaftliches Modell. Hier könnte zusammenwachsen, was nach Meinung vieler eigentlich wohl zusammengehört. Denn vor allem das Führungspersonal beider Parteien kommt oftmals aus demselben sozio-ökonomischen, nämlich bürgerlichen Milieu. Selbst die nun abgetretenen führenden Partei-Linken Claudia Roth und Jürgen Trittin sind gut-, beziehungsweise großbürgerlich aufgewachsen.
Ein wortwörtliches Beispiel dafür, dass Grüne und Christdemokraten aus derselben Familie kommen, sind Barbara und Claudia Stamm in Bayern. Die Mutter ist Abgeordnete der CSU, Tochter Claudia sitzt für die Grünen im bayerischen Landtag in München. Bei den Stamms zuhause werde gern und kontrovers politisch diskutiert, sagten beide einmal in einem gemeinsamen TV-Auftritt. Und warum sollte, was am Küchentisch schon funktioniert, nicht auch am Kabinettstisch gutgehen? Im Bundestag sitzen beide Fraktionen übrigens schon seit dem erstmaligen Einzug der Grünen 1983 nebeneinander.
Es gäbe viel zu tun
Sollte sich die Pizza-Connection in Berlin am Kabinettstisch wiederfinden, dann gäbe es inzwischen das eine große Thema nicht mehr, bei dem sich beide Parteien über Jahre verfeindet gegenüberstanden: "Pro" oder "Contra" Atomkraft. Nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima hatte Kanzlerin Merkel den Ausstieg aus der Energie-Erzeugung mit Atomkraft beschlossen und damit den wohl größten inhaltlichen Graben zwischen CDU und Grünen zugeschüttet.
Beim aktuell beherrschenden Thema Euro-Rettung konnte sich Merkel in der vergangenen Legislaturperiode immer auf die Grünen verlassen, wenn es um wichtige Abstimmungen im Bundestag ging. Eine Energiewende und den Abbau von Schulden wollen beide. Auch beim Thema Familienpolitik sind die Fronten inzwischen aufgeweicht. Doch neben ähnlichen Ansichten gibt es, das zeigen die Wahlprogramme, weiterhin erhebliche Unterschiede zum Beispiel in der Gesundheits-, Sozial- und Steuerpolitik. Offen ist derzeit allerdings, wie sich die Grünen nach dem Austausch ihres Führungspersonals inhaltlich weiterentwickeln, also ob sie sich den Sozial- oder eher den Christdemokraten annähern werden.
Mehrheit ist dagegen
Dass sowohl CDU und Grüne trotzdem vorsichtig mit schwarz-grünen Farbspielen umgehen, ist auch der jeweiligen Parteibasis geschuldet. Denn in den Orts- und Kreisverbänden gibt es noch jede Menge gegenseitige Vorbehalte. Hier unterscheiden sich die Mitglieder-Milieus deutlicher als in der Führung. Auch im vergangenen Wahlkampf mussten CDU und Grüne jeweils noch als Feindbild herhalten.
Diese Stimmung spiegelt sich in einer frischen repräsentative Umfrage von Infratest dimap. Ein Bündnis von Union mit der SPD bekommt darin die meisten Stimmen (48 Prozent) in der Gunst der Befragten. Schwarz-Grün liegt mit 18 Prozent weit dahinter.
Und dann ist da noch der Bundesrat, also die Länderkammer, ohne deren Zustimmung viele Gesetze nicht verabschiedet werden können. Jedes Bundesland hat hier eine festgelegte Stimmenzahl. Insgesamt sind es 69 Stimmen, die Mehrheit liegt bei 35 Stimmen. Da es auf Länderebene derzeit kein schwarz-grünes Bündnis gibt, hätte eine schwarz-grüne Bundesregierung keine einzige "automatische" Stimme im Bundesrat.