Schwarz-rote Akzente nach außen
19. Oktober 2005Er war selbst überrascht. Und auch viele Besucher der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages wussten mit dem zurückhaltenden Mann mit dem schlohweißen Haarschopf nichts anzufangen. Dabei soll Frank-Walter Steinmeier Außenminister in der kommenden großen Koalition werden. Ein bisschen Schröder sitzt damit auch weiterhin am Kabinettstisch, denn Steinmeier gilt als Vertrauter des noch amtierenden Bundeskanzlers.
Differenzen in der Russlandpolitik
Er habe von der Nominierung fürs Auswärtige Amt nichts geahnt, sagte Steinmeier gegenüber DW-WORLD. Im Exklusiv-Interview nahm er zur kommenden Außenpolitik und insbesondere zu der oft kritisierten Russlandpolitik der Bundesregierung Stellung: "Ich bin davon überzeugt, dass eine klug angelegte Außenpolitik keiner prinzipiellen Veränderung bedarf. Ich glaube, dass die Russlandpolitik, die in den vergangenen vier Jahren insbesondere stattgefunden hat, nicht nur außenpolitisch notwendig war, sondern in vielen Gebieten, auch in wirtschaftlichen Bereichen, Vorteile für dieses Land gebracht hat, die sich vorzeigen lassen."
Führende Politiker der Union sehen das etwas anders. Zwar sei in der Außenpolitik Kontinuität oberstes Gebot, allerdings wünscht man sich mehr Nähe zu den USA und einen kritischeren Dialog mit Russland. Das fordert auch Philipp Mißfelder, der Chef der Jungen Union und Nachwuchshoffnung der CDU: "Es wird weiterhin eine stabile Außenpolitik geben. In der Russlandpolitik muss sich was ändern, weil wir auch die Menschenrechte in diesem Bereich viel stärker betonen müssen, und da werde ich auch als Vorsitzender der Jungen Union immer wieder meinen Finger heben und sagen, dass wir gerade in Russland immer wieder auf die Menschenrechte pochen müssen. Da muss unsere Politik sich verändern."
Ruhiges Fahrwasser in der Türkeipolitik
Aus der Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei ist erst einmal die Luft heraus, seitdem die offiziellen Verhandlungen aufgenommen worden sind. Eine Entscheidung ist somit um viele Jahre vertagt. In der ablehnenden Haltung Merkels sei viel Populismus gewesen, hört man aus der SPD. Für den europapolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Günter Gloser, geht es darum, das Bestehende zu sichern. Mit Blick auf die kommenden Koalitionsverhandlungen mit der Union sagt er: "Ich denke, die Differenzen in der Türkei-Frage wird man sicherlich ausräumen müssen. Da hat Frau Merkel vorher immer gesagt, dass sie die Vereinbarungen einhalten wird, die die Vorgängerregierung gemacht hat. Ansonsten haben wir in der letzten Periode schon sehr viel Übereinstimmung gehabt zwischen SPD und Union."
Europapolitik aus einem Guss
In der Europapolitik wollen beide Partner eng zusammenarbeiten. Das betonen viele Abgeordnete der SPD und der Union unisono. So sieht es auch der frühere Hamburger Bürgermeister und ehemalige SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose. "Die deutsche Außenpolitik muss verlässlicher werden", fordert er. Der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses und Amerika-Experte hofft auf ein besseres transatlantisches Verhältnis. Er hatte dem scheidenden Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeworfen, zu sehr die Nähe Russlands gesucht zu haben. Für die kommende Europapolitik äußert er eine konkrete Hoffnung: "Ich wünschte mir, es gäbe eine Veränderung - nämlich die Rückkehr zu dem alten Prinzip, dass das größte EU-Land sich in besonders starkem Maße um die kleineren EU-Mitgliedsländer kümmert, das hätte in der vergangenen Legislaturperiode besser sein können und verändert sich vielleicht in Zukunft."
In einem sind sich alle einig: Gute Beziehungen zu allen Nachbarn und Bündnispartnern soll es weiterhin geben: Von einer Achse Berlin-Paris-Moskau spricht niemand mehr.