Schwarzes Kino beim Filmfest Locarno
Die filmhistorische Retrospektive des Schweizer Festivals ist weltweit anerkannt. In diesem Jahr steht "Black Light" auf dem Programm: Filme von und über die schwarze Bevölkerung in Europa, Nord- und Südamerika.
Kult: "Jackie Brown"
Einer der populärsten Filme der diesjährigen Locarno-Retrospektive "Black Light" dürfte "Jackie Brown" sein. Quentin Tarantino inszenierte den Film 1997 und verschaffte der Schauspielerin Pamela Suzette "Pam" Grier ein großartiges Comeback. Grier war in den 1970er Jahren ein Star des sogenannten Blaxploitation-Kinos - billig produzierter Genre-Filme afroamerikanischer Regisseure in den USA.
Visionär: Spike Lee
Eine Filmschau des schwarzen Kinos ohne Spike Lee - undenkbar. Der Regisseur und Schauspieler wurde Mitte der 1980er Jahre zur Leitfigur des "New Black Cinema". Seine Filme: engagiert und unterhaltsam, kritisch, aber auch für ein größeres Publikum. Das Festival ehrt Lee, indem es seinen Klassiker "Do the Right Thing" bereits einen Tag vor Festivaleröffnung zum Auftakt der Retrospektive zeigte.
Rückblick in die 1930er Jahre
Die Retrospektiven des Festivals in Locarno gelten schon lange als vorbildlich, weil sie sorgfältig kuratiert sind und sich jeweils tief in die Kino-Geschichte graben. Der älteste Film der "Black Light"-Retro ist von 1919. "Daïnah la métisse" vom Franzosen Jean Grémillon (1931) macht sich Gedanken über Rassismus und Vorurteile eines bürgerliches Publikum während einer Atlantik-Schiffspassage.
Goldene Palme und Oscar: "Orfeu Negro"
Ein französischer Regisseur war es auch, der 1959 einen populären Zugang zum Thema fand. Seine Übertragung des antiken Mythos von Orpheus und Eurydike in den Karneval von Rio errang die Goldene Palme und einen Auslands-Oscar. "Orfeu Negro", eine brasilianisch-französisch-italienische Co-Produktion, wurde mit afrobrasilianischen Laiendarstellern in Brasilien gedreht.
Harry Belafonte in "Odds Against Tomorrow"
Bevor Regisseure wie Spike Lee und Charles Burnett Filme drehten, waren es fast ausschließlich weiße Filmemacher, die sich mit den Themen Rassismus beschäftigten. Ein Klassiker, gedreht von Hollywood-Regisseur Robert Wise, ist heute "Odds Against Tomorrow" (1959) mit Harry Belafonte in einer seiner besten Rollen. "Wenig Chancen" für Morgen" (dt. Titel) ist ein Krimi mit Rassismus-Thematik.
Blaxploitation-Kino: "Coffy"
Mit "Coffy" aus dem Jahr 1973 hat die Retrospektive in Locarno auch einen der Klassiker des Blaxploitation-Films im Programm, jenes schwarzen Kinos, vor dem sich Quentin Tarantino mit "Jackie Brown" verbeugt hat. Die Kriminalhandlung um die von Pam Grier gespielte Krankenschwester wurde von Regisseur Jack Hill mit einigen Härten in Szene gesetzt.
Andere Perspektiven: "West Indies"
Neben dem Kino der USA und dem Westeuropas lotet die Retrospektive "Black Light" auch die Ränder des Weltkinos aus. Als ein "wahres Wunder von einem Film" wird "West Indies" vom Festival angekündigt. Der aus Mauretanien stammende Regisseur Med Hondo drehte ihn 1979: "Der Film spielt auf einem riesigen Sklavenschiff, die als symbolische Bühne für Jahrhunderte westlichen Kolonialelends fungiert."
Experimenteller Dokumentarfilm: "Tongues Untied"
Eine heftige Kontroverse löste der Film "Tongues Untied" in den USA aus, noch bevor er im Herbst 1989 zum ersten mal öffentlich gezeigt wurde. Regisseur Marlon Riggs setzte sich darin mit den Problemen auseinander, die schwarze Schwule in den USA haben. Dabei vermischte Riggs persönliche Statements mit dokumentarischem Material. Vor allem konservative US-Politiker protestierten gegen den Film.
Realistisch: "Boyz n the Hood"
Gleich in mehrfacher Hinsicht als wegweisend wird heute der amerikanische Film "Boyz n the Hood" gefeiert. Der kürzlich verstorbene Regisseur John Singleton zeichnete 1991 ein realistisches Bild vom Leben in einem der bekannten "Problem"-Viertel von Los Angeles. Mit damals kaum bekannten Schauspielern (u.a. Laurence Fishburne) entstand der Film an Originalschauplätzen.
Zerschossene Träume: "Juice"
Nur ein Jahr später drehte Ernest R. Dickerson einen ganz ähnlichen Film, Schauplatz ist diesmal der New Yorker Stadtteil Harlem. Auch hier geht es um Straßenkämpfe unter Jugendlichen, um Freundschaften in der Gang, um das Leben der schwarzen Bevölkerung im Ghetto einer amerikanischen Großstadt. Am Ende sind viele der Protagonisten tot. Die, die überlebt haben, stehen vor einer ungewissen Zukunft.
Die filmhistorische Retrospektive des Schweizer Festivals ist weltweit anerkannt. In diesem Jahr steht "Black Light" auf dem Programm: Filme von und über die schwarze Bevölkerung in Europa, Nord- und Südamerika.